Der mysterioese Zylinder
»Auch wenn unser gemeinsamer Freund nach allem, was ich höre, ein ganz schönes Stinktier war, könnten Ihre Bemerkungen doch auch auf weniger verständnisvolle Ohren treffen. Und –?«
»Hier ist die ganze Geschichte«, murmelte Morgan; seine Augen waren starr auf die Schreibunterlage gerichtet. »Es ist keine schöne Geschichte … Als ich ein junger Student am College war, hatte ich mich mit einem Mädchen eingelassen – einer Kellnerin in einem Studentenrestaurant. Sie war kein schlechter Mensch – nur schwach, und ich denke, ich war etwas ausgelassen damals. Auf jeden Fall bekam sie ein Kind – mein Kind … Ich nehme an, Sie wissen, daß ich aus einer sittenstrengen Familie komme. Sollten Sie das noch nicht wissen, werden Sie das im Zuge Ihrer Untersuchungen bald herausfinden. Die Familie hatte große Pläne mit mir, man war gesellschaftlich sehr ambitioniert – um es kurz zu machen, ich konnte das Mädchen also unmöglich heiraten und sie als Ehefrau in das Haus meines Vaters bringen. Ich habe mich ziemlich niederträchtig benommen …«
Er machte eine Pause.
»Aber es war nun einmal geschehen, und das ist alles, was zählt. Ich – ich habe sie immer geliebt. Sie war vernünftig genug, allen Abmachungen zuzustimmen. Ich schaffte es, sie aus meinen großzügig bemessenen Einkünften zu versorgen. Niemand – kein einziger Mensch auf dieser Welt außer ihrer verwitweten Mutter, einer feinen alten Dame – weiß etwas über diese Angelegenheit. Ich glaube, das kann ich beschwören. Und trotzdem –« Er ballte die Fäuste, fuhr aber mit einem Seufzer fort. »Schließlich heiratete ich ein Mädchen, das meine Familie für mich ausgesucht hatte.« Ein schmerzvolles Schweigen entstand, als er innehielt, um sich zu räuspern. »Es war eine Vernunftehe – nicht mehr und nicht weniger. Sie stammte aus einer alten Aristokratenfamilie, und ich hatte das Geld. Wir haben einigermaßen glücklich zusammen gelebt. … Dann traf ich Field. Ich verfluche den Tag, an dem ich einer Partnerschaft mit ihm zugestimmt habe – aber mein eigenes Geschäft war nicht gerade so, wie es hätte sein sollen, und Field war ein aufstrebender und gerissener Anwalt.«
Der Inspektor nahm eine Prise Schnupftabak.
»Zunächst ging alles glatt«, fuhr Morgan mit leiser Stimme fort. »Aber nach und nach kam mir der Verdacht, daß mein Partner nicht so ganz der war, für den ich ihn gehalten hatte. Obskure Klienten – wirklich obskure Klienten – kamen nach Büroschluß in sein Privatbüro; meinen diesbezüglichen Fragen wich er aus; irgend etwas stimmte auf einmal nicht mehr. Schließlich kam ich zu dem Schluß, daß mein eigener Ruf darunter leiden würde, wenn ich weiter mit diesem Mann in Verbindung stehen würde, und ich sprach mit ihm über eine Auflösung der Kanzlei. Field lehnte das vehement ab, aber ich war stur; und schließlich konnte er sich meinem Wunsch nicht mehr widersetzen. Wir trennten uns.«
Ellery trommelte mit den Fingern abwesend auf den Griff seines Spazierstockes.
»Dann diese Sache im Club. Er bestand darauf, daß wir zusammen zu Mittag aßen, um die letzten Einzelheiten zu klären. Das war aber natürlich nicht der wirkliche Grund. Ich denke, Sie erraten schon … In ganz freundlichem Ton kam er mit der Ungeheuerlichkeit heraus, er wisse, daß ich eine Frau und mein uneheliches Kind finanziell unterstütze. Er sagte, er hätte einige meiner Briefe, um das zu beweisen, und einige Zahlungsbelege über Summen, die ich ihr geschickt hatte … Er gab freimütig zu, daß er sie mir gestohlen hatte. Ich hatte jahrelang nicht mehr danach geschaut, natürlich … Dann kündigte er mir höflich an, daß er aus dieser Angelegenheit Kapital zu schlagen gedächte!«
»Erpressung!« rief Ellery aus.
»Ja, Erpressung!« gab Morgan verbittert zurück. »Genau das. Er malte mir sehr genau aus, was passieren würde, wenn die Geschichte herauskäme. Oh, Field war ein gerissener Halunke! Ich sah meine gesamte gesellschaftliche Stellung, die ich mir aufgebaut hatte – die Frucht jahrelanger Mühe – mit einem Mal zerstört. Meine Frau, ihre Familie, meine eigene Familie und mehr noch als das, die Kreise, in denen wir verkehrten – ich hätte bis zum Hals im Dreck gesteckt. Und was das Geschäft betrifft – nun, es braucht nicht viel, damit die wichtigen Klienten zu anderen Anwälten abwandern. Ich saß in der Falle – ich wußte es, und er wußte es.«
»Und wieviel hat er verlangt, Morgan?« fragte Queen.
»Genug! Er wollte
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