Der Nachbar
gesagt?«
»Dass hier in der Straße ein Pädophiler wohnt, der sich Rosie schnappen würde, wenn's ihn überkommt.«
Großer Gott! »Was? Und wie kam es dazu?«
»Ach, es war der übliche Ablauf. Bla-bla-bla, eine Predigt nach der anderen. Erst hat sie versucht, Rosie über ihren Vater auszufragen, dann hat sie mir vorgehalten, was für eine Rabenmutter ich bin, und als ich ihr dann mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben hab, dass sie sich verpissen soll, haut sie mir plötzlich diesen Perversen um die Ohren, der sich demnächst an Rosie ranmachen wird. Mir hat das verdammt Angst gemacht, das können Sie mir glauben.«
»Also, das tut mir wirklich Leid«, versicherte Sophie, die schon gerichtliche Vorladungen ins Haus flattern sah. »Da hatte ich ihr schon mitgeteilt, dass sie Sie in Zukunft nicht mehr betreuen wird. Wahrscheinlich war sie wütend. Aber das hätte sie natürlich nicht an Ihnen auslassen dürfen, schon gar nicht mit solchen Geschichten.« Sophie seufzte. »Glauben Sie mir, Mel, ich versuche nicht, ihr Verhalten zu entschuldigen, aber sie hat im Moment wirklich große Probleme. Sie hat Angst vor dem Ruhestand – ihr Leben kommt ihr leer und unnütz vor, verstehen Sie. Sie hätte gern geheiratet und selbst Kinder gehabt... aber es hat nicht geklappt. Können Sie sich vorstellen, dass es ihr nicht gut geht?«
Melanie zuckte mit den Schultern. »Sie hat mich total verrückt gemacht mit ihren Moralpredigten, und das Ende vom Lied war, dass ich sie verspottet habe, weil sie keine Kinder hat. Da ist sie natürlich stinksauer geworden. Sie hat mich richtig angefaucht.«
Sophie erinnerte sich, wie Fay bei ihrem letzten Gespräch mit ihr gefaucht hatte. »Ja, das ist eben ihr wunder Punkt.« Sie stand auf und stellte ihren Becher auf den Tisch, ohne zu zeigen, wie ver ärgert sie war. Sie konnte sich die Wut des leitenden Arztes vorstellen, wenn ihre Gemeinschaftspraxis zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen »seelischer Grausamkeit« verdonnert würde.
Man hätte dieses verdammte Weib schon vor Jahren einsperren sollen.
»Tun Sie mir einen Gefallen, Mel. Vergessen Sie, was sie gesagt hat. Es war nicht in Ordnung – sie hätte es nicht tun dürfen. Sie sind doch viel zu vernünftig, um sich von Fay Baldwin ins Bockshorn jagen zu lassen.«
»Sie wirkte ganz schön erschrocken, als ich zu ihr gesagt hab, sie dürfte über solche Sachen doch gar nicht reden.«
»Das kann ich mir denken.« Sophie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ich muss los. Ich werde mit Fays Nachfolgerin sprechen. Ich erzähle ihr, was hier gelaufen ist und werde sie bitten, so bald wie möglich bei Ihnen vorbeizuschauen. Sie können über alles mit ihr reden – sie ist eine gute Zuhörerin –, und ich verspreche Ihnen, dass sie Ihnen keine Moralpredigten halten wird. Na, wie hört sich das an?«
Melanie streckte einen Daumen in die Höhe. »Spitze.« Sie wartete, bis die Tür zugefallen war, dann zog sie ihre Tochter auf ihren Schoß. »Siehst du, Schatz, das nennt man eine Verschwörung. Eine dumme Kuh verquasselt sich in ihrer Wut, und die anderen tun so, als hätte es damit überhaupt nichts auf sich.« Sie rief sich das erschrockene Gesicht Fay Baldwins ins Gedächtnis, als diese Hals über Kopf aus dem Haus gestürzt war. »Aber die dumme Kuh hat die Wahrheit gesagt, und die anderen lügen wie gedruckt.«
Sobald Sophie wieder in ihrem Wagen saß, sprach sie Fay ihre Meinung unverblümt auf den Anrufbeantworter.
»Es ist mir scheißegal, was für Probleme Sie haben, Fay – ich denke, Ihnen könnte nichts Besseres passieren, als dass Ihr Milchmann Sie mal ordentlich durchbumst –, aber wenn Sie sich noch ein Mal in Melanie Pattersons Nähe wagen, werde ich persönlich Sie ins nächste Irrenhaus verfrachten und einweisen. Was zum Teufel haben Sie sich bloß dabei gedacht, Sie dumme, dumme Person?«
Eine halbe Stunde später löschte im anderthalb Kilometer entfernten Nightingale Health Centre Fay Baldwin mit zitternder Hand die Nachricht von ihrem Anrufbeantworter. Melanie hatte sie verraten.
3
Freitag, 27. Juli 2001 – Portisfield – Mittags
Der Wagen stand zwanzig Minuten vor der katholischen Kirche in Portisfield. Mehrere Leute gingen an ihm vorüber, aber niemand verschwendete einen zweiten Blick an ihn. Einer behauptete später, es wäre ein blauer Rover gewesen, ein anderer sprach von einem schwarzen BMW. Eine junge Mutter mit Kinderwagen hatte im Innern einen Mann bemerkt, konnte ihn aber nicht
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