Der Nachtelf (German Edition)
Drude das Leben gerettet und – was vielleicht die größte Leistung von allen war – überlebt. Zweifellos war es die Macht der Lakaien, die diese Kräfte in ihr freigesetzt hatten. Die gleiche Macht, die ihr nun auch gebot, einen klaren Kopf zu wahren. Unten auf der Straße traten sich inzwischen die Schaulustigen gegenseitig auf die Füße in dem Versuch, einen Blick auf das Flachdach zu erhaschen. Dadalore beugte sich über die Brüstung und rief: »Es ist alles vorbei. Geht nach Hause, Leute, und berichtet Euren Familien davon!«
»Bei Tyrtallas strahlendem Auge, sie ist voller Blut!«, rief jemand zurück. Aufgeregtes Getuschel setzte ein. Na großartig.
»Geht jetzt! Geht!«, rief Dadalore eine Spur zorniger. Tatsächlich setzten sich die ersten Menschen an den Rändern der Menge in Bewegung. Bis sich der ganze Auflauf aufgelöst hatte, mochten noch Minuten vergehen. Und die Geräuschkulisse ebbte nur langsam ab.
»Wo ist das Untier hin?«
»Hast du keine Augen im Kopf? Die Capitalprotektorin hat das Monster und die Drude besiegt!«
»Ganz allein?«
»Ja, die sind eigens dafür ausgebildet, mit Hexen fertigzuwerden.«
»Deswegen wollte meine Frau nicht, dass ich zur Wache gehe.«
»Ich habe gehört, Hexenblut macht unverwundbar.«
Dadalore seufzte. In solchen Fällen brauchte man eigentlich einen ganzen Stab Sklaven, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Sie konnte von Glück sagen, wenn die Menge sich nicht selbst ein Leid antat.
Sie kehrte den Leuten den Rücken und hockte sich neben den Toten. Sein nackter Körper glänzte vor Blut. Doch als Verletzung war nur die Wunde am Hals zu erkennen. Es war ein klarer, von einer Seite zur anderen geführter, Schnitt. Aber es war nirgendwo eine Mordwaffe zu entdecken. »Seid Ihr sicher, dass keiner Eurer Zauber diese Wirkung hervorgerufen hat?«
Waltumpes Mundwinkel zitterten. »Die Herrin des Abgrundes gebietet über endlose Macht, aber sie ist geizig darin, die Sterblichen daran teilhaben zu lassen.«
»Habt Ihr eine Ahnung, warum der Mann Euch angegriffen hat?«
Der Kopf der Drude vollzog eine Pendelbewegung. »Hätte ich vorausgesehen, was geschähe, er wäre tot gewesen, lange bevor er die Allee erreichte.«
»Woher kennt Ihr den Priester denn?«
»Mit Schamanen verkehre ich nicht.«
»Aber Ihr habt Euch doch vorhin unterhalten, bevor der Angriff erfolgte.«
Die Drude leckte sich das Blut von den Lippen. »Er brüllte meinen Namen. Ich rief zurück: Was willst du? Und schon verwandelte er sich.«
»Er rief nur Euren Namen, weiter nichts?«
Waltumpe entblößte eine Reihe brauner Zahnstummel. »Namen sind machtvolle Werkzeuge.«
»Er hat Euch verzaubert?«
»Er hat sich verzaubert.«
»Mit Eurem Namen?«
»Wirr redest du, Kind.«
Dadalore musste sich eingestehen, dass sie keine Ordnung in das Geschehen bekam. Es war offenbar ein Mordversuch des Priesters an der Drude. Aber warum war der Täter tot und das Opfer lebte noch? Vielleicht hatte es sich umgekehrt verhalten und die Provokation war von der Drude ausgegangen? Einen Mord als Notwehr zu tarnen, war nicht das Ungeschickteste. Dadalore würde fachkundige Auskünfte eines Zauberers benötigen, um zu ergründen, warum der Mann denn nun eigentlich zusammengebrochen war. Und schließlich war da noch der seltsame Umstand seiner Verwandlung. Die Capitalobservatorin hatte von keinem vergleichbaren Fall je gehört. »Was für eine Art Zauber lässt einen Angreifer zur Bestie werden?«
Das vernarbte Gesicht pendelte stärker, so dass die roten Zöpfe hin und her flogen. »Solche Zauber gibt es nicht, gibt es nicht. Ich habe es von meiner Lehrmeisterin gelernt und die von ihrer und immer so fort. Menschen formen die Magie, Magie formt die Dinge, so lernt es eine jede Drude. Magie formt keine Menschen.«
»Vielleicht verfügen die Schamanen des Tyrtalla ...«
»Nein!«
» ...über Fähigkeiten ...«
»Nein!«
» ...die so etwas ermöglichen?«
»Nein!«
Dadalore dachte ein Moment nach. »Wie könnt Ihr da so sicher sein?«
»Niemals würde die Gestaltlose es zulassen, dass der Lichtgott seine Anhänger mächtiger macht als sie die ihren, niemals! Tyrtalla ist nur ein Gott, aber Kalunga ist der Abgrund und der Abgrund ist unendlich.«
Schier unendlich war auch das Potential, aus dem Valenuru schöpfte. Er saß an seinem neuen Schreibtisch und tat – nichts. In dieser Tätigkeit verfügte er über Ausdauer und den nötigen Ehrgeiz, immer neue Rekorde aufzustellen. Doch
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