Der Nachtelf (German Edition)
sich lebhaft aus, wie das Gefühl der Überforderung ansonsten jetzt über ihr zusammenschlüge. So konnte sie die Sache nüchterner betrachten. Dennoch änderte das nichts an der Lage. Sie hatten nicht die Zeit, sich auch noch darum zu kümmern. In drei Tagen war die Achthundertjahrfeier, bis dahin musste sie den Ruptu-Fall aufgeklärt und jegliche Gefahr für König Gowofred ausgeschlossen haben! Diese andere Sache würde sicher noch drei Tage warten können. Immerhin war Waltumpe ja keine ganz hilflose Frau. Abgesehen davon, dass sie womöglich noch so eine Art unsichtbaren Helfer hatte.
Und dann war da Valenuru. Wie gut er roch. Und eigentlich war er auch ausgesprochen hübsch.
Dadalore kämpfte den Gedanken augenblicklich nieder. So hatte sie nicht über Männer zu denken. Irmhobib hatte sie deutlich gelehrt, was es hieß, eine Sklavin zu sein. Valenuru mochte aussehen, wie er wollte. Ihre Sorge hatte dem Reich und der Krone zu gelten.
Wenn es jemanden gab, dem der Schutz von Reich und Krone noch unmittelbarer oblag als ihr, war dies Patmelu-Wer-vergibt-versagt, der Prinzipalprotektor des Imperiums. Er trug eine der mit Gold- und Silberfäden durchwirkten Uniformen, die in den letzten Jahren im Palast so in Mode gekommen waren. Als Dadalore sein Dienstzimmer im Alabasterpalast betrat, war er gerade damit beschäftigt, ein Pergament mit Hilfe eines sündhaft teuren Augenglases zu lesen, das er sich in die linke Augenhöhle gesteckt hatte. An der Sehhilfe hing ein Kettchen, das in der Brusttasche seiner Uniform verschwand. Den Kopf hatte Patmelu aufgestützt, die Hand ruhte auf der sehr hohen Stirn, unmittelbar vor dem dunklen Haaransatz.
»Tyrtalla zum Gruße«, sagte Dadalore.
Der Prinzipalprotektor wies ihr wortlos einen Stuhl, ohne von seinem Pergament aufzublicken.
Dadalore setzte sich ihm genau gegenüber. Sein Schreibtisch war doppelt so groß wie ihrer. Dennoch wirkte er winzig neben der riesigen Klimme, die daneben bis zur Zimmerdecke hinauf wucherte. Die wenigen fleischigen Blätter gingen fast unter in dem Meer aus dicken, kantigen Sprossen, die die Wand bedeckten. Auf dem Boden verschwand das Gewucher der Ranken in großen Kübeln voller Erde. Selbst das riesige Fenster war überwachsen, es zeichnete sich nur noch als helles Rechteck unter dem Gestrüpp ab. Das Dienstzimmer selbst dagegen lag im grünen Halbdunkel.
Patmelu hatte seine Lektüre immer noch nicht beendet.
Was las er denn da so Wichtiges? Dadalore spähte unauffällig auf das Pergament. Mühsam las sie die Buchstaben auf dem Kopf: ... versichere Euch, dass unsere Bewegung ständig größer wird. In Bälde wird auch der König nicht mehr ...
Patmelu legte das Schriftstück weg, steckte das Augenglas in die Brusttasche und sah sie direkt an. Die Capitalobservatorin fühlte sich ertappt und lächelte unangenehm berührt.
»Kann ich Euch vielleicht irgendwie helfen, Eure Capitalprotektorin?«
»Capitalobservatorin«, verbesserte Dadalore.
Patmelu musterte sie unter leichtem Zucken eines Mundwinkels. »Ihr müsst entschuldigen, aber mit den unteren Dienstgraden bin ich nicht so vertraut.«
Dadalore schluckte. Mit einem Mal bedauerte sie, dass sie niemanden zur Unterstützung mitgenommen hatte. Ihren neuen Gehilfen vielleicht oder wenigstens Bamulaus. Sie durfte sich jetzt keine Unsicherheit anmerken lassen. »Dann prägt ihn Euch jetzt ein«, gab sie zurück, »denn wir werden in dieser Angelegenheit zukünftig häufiger zusammenarbeiten müssen.«
»Was immer der König wünscht«, erwiderte der Prinzipalprotektor.
»Ich untersuche den Vorfall in der Königlichen Küche. Ihr habt sicher davon gehört.«
»Gewiss habe ich das. Ich war lange vor Euch am Ort des Geschehens. Der Tod dieser Schuppenwesen wäre überall außerhalb des Alabasterpalastes eine Lappalie, aber er musste sich ja ausgerechnet hier ereignen. Nun ist er ein Politikum.«
»Ihr spielt auf die Sicherheit des Königs an?«
»Ich spreche von der Sicherheit des Reiches. Wir können nicht zulassen, dass Ruptu ihre inneren Zwistigkeiten im vornehmsten Refugium des Imperiums austragen.«
»Ihr geht also davon aus, dass die Täter selbst Ruptu sind?«
Patmelu schwieg. Aber etwas in seiner Miene änderte sich. Er sah aus, als wolle er jeden Augenblick ausspeien. »Natürlich tue ich das. Sollte Euch bei der Inspektion des Tatorts etwas entgangen sein?«
Dadalore fühlte sich wie bei den Prüfungen im Sklavenpferch. Sie hatte schon die Testfragen, mit denen ihre
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