Der Nachtelf (German Edition)
Tränen kommen konnten. Sie musste hier raus! »Ich sehe noch kurz nach dem Schriftkram«, murmelte sie und wendete sich rasch ab. Ihr Weg zur Tür dehnte sich zu Ewigkeiten.
Dadalore floh hinüber in ihr Dienstzimmer, da brach sie bereits ins Weinen aus. Sie wollte noch an ihrem Schreibtisch Platz nehmen, aber sie rutschte einfach kraftlos unter den Tisch. Dort legte sie den Kopf gegen ein Tischbein. Ihre Tränen kannten kein Halten mehr.
Irgendwann spürte sie eine Berührung auf ihrer Schulter. Durch den Tränenschleier sah sie nur verschwommen, dass Valenuru hinter dem Tisch kniete. Sie verkrampfte sich mit der Hand am Tischbein. Sie wollte etwas sagen, aber er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Später.«
So kauerten sie, halb unter, halb hinter dem Tisch und Dadalore weinte. Es tat gut, nicht allein zu sein, und von Valenuru ging Kraft und Ruhe aus.
Nachdem ihre Tränen versiegt waren, nahm er aus der Schublade zwei Lakaien. »Nehmt das.«
Bald hüllte der blaue Nebel sie ein. Das Gefühl der Scham schwand, ihre Trauer war wie fortgeblasen. Es kam ihr mit einem Mal nur noch töricht vor, dass sie überhaupt geweint hatte.
»Ihr dürft Euch nicht so grämen«, flüsterte Valenuru. Er strich ihr wieder über das Haar.
Dadalore lächelte gequält. »Ihr habt ja keine Ahnung, was mich so getroffen hat.«
»Erzählt es mir!«
Und das tat sie dann auch. Die Capitalobservatorin berichtete den Ablauf des ganzen, langen Tages, angefangen mit ihrem Entschluss, sich der Mordsache Ankubu zu widmen, weil es ihr der Greifbarste der fünf Fälle schien, über ihre Verhöre, die Provokationen Patmelus und ihr unfreiwilliges Bad, bis hin zum Niederringen der vermeintlichen Mordkomplizen. Als sie geendet hatte, sah sie betreten zu Boden.
Da war das Gefühl seiner Nähe. Seine Hand auf ihrem Haar. Aber sie hatte Angst ihn anzusehen.
»Ihr habt Euch getäuscht, weil Ihr etwas Entscheidendes noch nicht wusstet«, sagte Valenuru. »So etwas kann passieren.«
»So etwas darf nicht passieren.«
»Glaubt Ihr, ein Bamulaus hätte nicht ähnliche Fehler gemacht, als er frisch ausgeloster Capitalprotektor war? Selbst ein Capitalmeisterobservator wie Osogo wird in der ersten Zeit vornehmlich damit beschäftigt gewesen sein, über die eigenen Füße zu stolpern.«
»Es ist nett, dass Ihr so etwas sagt. Aber ich halte es nicht mehr aus.« Diese Feststellung klang ihr selbst fremd in den Ohren, jetzt, da sie benebelt war von Zauberei.
»Ihr müsst nur unsere kleinen Helfer in Anspruch nehmen.« Valenuru deutete auf die noch offene Schublade.
Dadalore nickte.
»Und wenn diese Sache hier ausgestanden ist, übt Ihr Euch in Ruhe darin, nicht alles so wichtig zu nehmen, was irgendein König, Tyrtalla oder sonst wer Euch an Regeln aufzwingen will.«
Die Capitalobservatorin blinzelte. Hatte er gerade tatsächlich König und Göttern zugleich gelästert? Sie hatte ihm doch schon einmal unmissverständlich gesagt, dass sie für so etwas nicht zur Verfügung stand! »Was wollt Ihr denn?«, fragte sie wütend. »Dass ich weniger bin, was ich bin?«
»Nein, dass Ihr mehr seid, was Ihr sein möchtet.«
Sie schüttelte seine Hand ab. Das wunderbare Kribbeln auf ihrer Kopfhaut endete. »Wenn es einen Lakaien gegen blasphemische Reden gäbe, müsste ich ihn Euch jetzt einflößen.«
»Wofür sollte das gut sein?«, fragte Valenuru. »Wenn das Führen einer solchen Rede Tyrtalla tatsächlich betrübt, müsste er doch den Lakaien nehmen.«
»Ihr weicht ins Blödsinnige aus.«
»Abgesehen davon glaube ich kaum, dass es Euren Tyrtalla auch nur kümmert, was mit den Menschen geschieht. Hat man je gehört, dass er bei großem Leid eingeschritten wäre? Hat er je den Unterjochten geholfen?«
Dadalore funkelte ihn an. »Ihr redet wie ein gottloser Gesell. Es gehört zu den Übeln unserer Zeit, dass die Menschen die Götter nicht mehr achten. Und Tyrtallas größtes Geschenk ist die Gabe des menschlichen Verstandes, durch den wir uns selbst helfen können.«
»Interessant«, stellte Valenuru fest. »Und sobald jemand Gebrauch davon macht, widerspricht es dem Willen der Götter?«
Darauf wusste Dadalore nichts mehr zu sagen, was sie allerdings nur noch wütender machte. »Schluss jetzt! Ich will von Eurem lästerlichen Gerede keinen Ton mehr hören.«
Valenuru stand auf und wandte sich ab.
Schon tat ihr leid, was sie gesagt hatte. Gehörte zu den vornehmsten Erlassen der Könige nicht auch, dass man die Meinung anderer achten solle?
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