Der Nachtelf (German Edition)
dem sie hoffte, ihn bis zur Capitalobservationskammer durchhalten zu können.
Es folgte eine Viertelstunde aus Schweiß, Atem, Schweiß und Atem. Und dazwischen die Blicke der Sklaven und Bürger, die genau um ihr Versagen wussten.
Als sie die Dienststelle erreichte, polterte sie zur Tür herein wie die letzte Überlebende eines dreiwöchigen Wüstenmarsches. Zuluward, ein junger Capitalprotektor mit tiefschwarzer Haut, kam ihr entgegen. Ein Stoß aus Missbilligung und Abscheu traf sie. Und sie hatte dem nichts entgegen zu setzen. Sie hielt sich die Seite und rang um Luft. Sie war doch zu schnell gelaufen. Als ob das noch irgendetwas ändern könnte.
Sie war in einem furchtbaren Zustand. Gestern hatte sie schon geschwitzt und für eine Morgentoilette war keine Zeit geblieben. Ein altersschwaches Lama konnte nicht schlimmer riechen. Sie musste unbedingt zum Brunnen, bevor sie noch mehr Kollegen über den Weg lief.
Rasch suchte sie den Innenhof auf, entledigte sich des Wamses und zog einen Eimer kaltes, klares Brunnenwasser herauf. Ah, das tat gut! Das herrliche Wasser spülte ihr über die Brüste. Wie die kleinen Wassertropfen vorgestern auf Valenurus Leib geglänzt hatten. Nun stand sie hier und wusch sich. Wenn er jetzt hinzukäme, könnte es bestimmt wieder so sein wie in der Nacht ...
Um der Himmlischen willen, sie musste damit aufhören! Andere Leute bekamen von Brunnenwasser einen klaren Kopf. Sie hingegen ließ sich davon ihren Obliegenheiten entfremden. Damit war jetzt Schluss!
Dadalore zog ihr Wams über den noch nassen Leib. Bei dieser Hitze wäre es ohnehin in wenigen Minuten trocken. Sie wusch noch kurz das Haar. Nie war ein Spiegel zur Hand, wenn man ihn brauchte. Zum Glück hing in ihrer Dienststube einer.
Die Blicke ihrer Untergebenen lasteten schwer auf ihr, als sie das Gebäude wieder betrat. Mit gesenktem Kopf schlich sie sich ins Zimmer.
»Da seid Ihr ja!« Valenuru strahlte sie an. »Gut geschlafen?«
»Macht es nicht noch schlimmer«, murmelte sie.
»Ist Euch Böses widerfahren?«
Dadalore starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. Sie rang um die passenden Worte. Schließlich sagte sie: »Seid Ihr sicher, dass Ihr verstanden habt, was es heißt, ein Capitaloberobservator zu sein?«
Die Frage schien seine Laune zu trüben. »Jedenfalls habe ich meinen Dienst heuer Stunden eher angetreten als Ihr.«
Dadalore spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. »Ich ... ich bitte ... es gibt keine Worte, um mein Bedauern auszudrücken. Ich kann nur um Vergebung bitten, dass ich Euch die Arbeit allein machen ließ.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Da hellte sich ihre Miene auf. »Das heißt, Ihr habt endlich mit den obersten Würdenträgern der Stadt gesprochen?«
Valenuru wich ihrem Blick aus. »Andererseits darf man nicht überschätzen, was sich in so ein paar Stunden Dienst schaffen lässt.« Er sah sie an und gewahrte offenbar ihren aufsteigenden Zorn. Schnell zeigte er auf einen Stapel Pergamente vor sich. »Dafür habe ich mich ausgiebig diesen Protokollen gewidmet!«
Dadalore folgte seiner Geste. Sie erkannte auf dem obersten Pergament deutlich seinen Gesichtsabdruck. Valenurus sah in rascher Folge mehrfach zwischen ihr und dem Blatt hin und her. Langsam dämmerte ihm offensichtlich, dass er durchschaut war.
Die Capitalobservatorin holte tief Luft. »Das kann doch, das darf doch nicht wahr sein! Das darf einfach nicht wahr sein! Wir haben eine Bedrohung der Sicherheit des Königs höchster Stufe. Mordgesindel geht im Palast ein und aus. Priester werden auf offener Straße ermordet, Strafgefangene in ihren Zellen. Furchtbare Magie aus dem Dunkel der Geschichte kehrt zurück und das hier, das hier ist Eure Antwort darauf?« Sie hätte ihm vor Zorn an die Kehle springen können. Aber sie sah seinen Ausdruck echter Betroffenheit. Unschuldig wie ein Kind saß er da und war traurig. Nicht, weil er auch nur einen Hauch von dem verstanden hätte, was sie ihm hatte sagen wollen, sondern traurig, allein weil sie traurig war. Das nahm ihrem Zorn den Schwung. Sie schrumpfte in sich zusammen und fügte leise an: »Und habt Ihr vielleicht auch einen Gedanken daran verschwendet, dass mir nur noch bis heute Abend Zeit bleibt, bis dieser Hexenmeister mich der Zentralkommandantur zum Fraße vorwirft?« Die Sklavin machte einen Schritt rückwärts und ließ sich auf die Kante ihres Schreibtisches sacken.
Es war sinnlos. In seinem Geist musste ein wichtiger Teil fehlen, den man eben
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