Der Nachtwandler
haben, der sich womöglich etwas Ansteckendes eingefangen hatte.
»Sie renovieren, wenn Sie krank sind?«
»Nein, ich … Also, das kam plötzlich. Auf einmal wurde mir übel. Deswegen habe ich ja aufgehört.«
»Verstehe«, sagte Kroeger, obwohl sein Gesicht das Gegenteil ausdrückte.
»Weswegen wollen Sie mich sprechen?«, versuchte Leon die Initiative in diesem Gespräch zu übernehmen. Er fühlte sich wieder etwas benommen, als habe er etwas getrunken, und seine Zunge schien mit jedem Wort schwerer zu werden.
»Ich will Ihnen etwas zeigen«, eröffnete der Polizist.
Zeigen?
»Aber vielleicht wäre es besser, wenn wir zuerst …«
»Was?« Leon sah auf die Haustür, auf die der Beamte mit dem Kinn deutete.
»Ach so, ja, natürlich.«
In der Sekunde, in der er begriff, worauf Kroeger hinauswollte, wurde ihm das nächste Problem bewusst. »Ich fürchte, ich kann Sie nicht hereinbitten«, sagte er und schlug sich unter den misstrauischen Blicken des Polizisten auf seine leeren Hosentaschen. »Ich habe den Schlüssel vergessen.«
Lalle ich?
Seine eigene Stimme erschien ihm plötzlich fremd.
»Sie haben sich ausgesperrt?«
»Ja. Ich wollte nur nach der Post sehen …«
Im Inneren der Wohnung begann das Telefon zu läuten.
»Nachdem Sie auf der Toilette waren und nicht mehr renovieren wollten?«
»Ja«, bestätigte Leon matt.
Den Polizisten schien das zu amüsieren.
»Dann ist heute wohl nicht so ganz Ihr Tag, was?«
So könnte man es auch formulieren …
»Mann, Mann, Mann. Ich glaube, Sie sind tatsächlich etwas neben der Spur. Sie haben nicht nur Ihren Schlüssel liegenlassen, sondern …«
Der Beamte stieß mit dem Fuß gegen das Türblatt, und das Telefonklingeln wurde lauter.
»… Sie haben auch vergessen, ordentlich abzuschließen.«
Die Haustür öffnete sich mit einem kratzenden Geräusch, das auch aus Leons Kehle gekommen sein könnte.
»Aber das ist unmöglich«, tappte er in das nächste Fettnäpfchen.
»Wieso?«
Weil ich gestern vor dem Zubettgehen die Schlösser kontrolliert und die Wohnung seitdem nur durch meinen Schrank verlassen habe.
Beim Eintreten hörte er seine eigene Stimme von der Ansage des Anrufbeantworters im Flur: »… den Anschluss von Natalie und Leon Nader gewählt. Nachrichten bitte nach dem Piepston.«
Kurz darauf begann eine junge Frau, mit aufgesetzter Höflichkeit auf das Band zu flöten: »Hallo, sehr verehrter Herr Nader, hier ist Geraldine Neuss vom Juwelierhaus Bindner. Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung zwischen den Feiertagen, aber wir wollten Ihnen nur Bescheid geben, dass Ihr Ehering bei uns zur Abholung bereitliegt und nun hoffentlich nicht mehr so eng anliegt.«
Es tutete zweimal, dann war die Verbindung beendet. Leon fasste sich an den Ringfinger der linken Hand und spürte nicht einmal mehr eine Einkerbung in der Haut. Sie war verschwunden wie jegliche Erinnerung daran, den Ring jemals zur Reparatur gebracht zu haben.
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte der Beamte, und Leon wurde bewusst, dass er die ganze Zeit durch ihn hindurchgestarrt hatte.
Plötzlich überwältigte ihn der Wunsch, sich jemandem anzuvertrauen, und vielleicht war es gar nicht so verkehrt, mit einem Polizisten zu sprechen, auch wenn er sofort zu einem Tatverdächtigen avancieren würde, sobald er Kroeger den Zugang zu dem Tunnelsystem zeigte. Womöglich war Natalie dort hineingeraten und brauchte Hilfe? So gesehen war es fahrlässig, wenn er zu lange zögerte, aus Angst, sich selbst zu belasten.
»Setzen wir uns doch ins Wohnzimmer«, schlug Leon vor, noch unschlüssig, ob er dem Mann die Tür zu seinem Schlafzimmer öffnen sollte.
Was, wenn es gar kein Verbrechen gab? Wenn sich alles aufklärte und Natalie in der nächsten Sekunde lachend zur Tür hereinkam.
Ach ja? Und was würde sie sagen? »Schatz, hast du mein Handy in dem Schacht gefunden? Es muss verlorengegangen sein, als ich mir den Daumennagel abgerissen habe.«
Leon schüttelte den Kopf, weil es ihm selbst nicht gelingen wollte, eine Erklärung zu finden, die seine Welt wieder ins Lot rückte.
»Wie bitte?«, fragte Kroeger, während er sich im Wohnzimmer umsah.
»Ich habe nichts gesagt.«
»Doch. Sie haben einen Namen gemurmelt, glaube ich.«
Verdammt, jetzt merke ich es noch nicht einmal mehr, wenn ich laut denke.
»Da müssen Sie sich verhört haben.«
»Hmm.« Der Kommissar nickte vielsagend. »Ich hätte schwören können, Sie hätten Natalie gesagt. Ist Ihre Frau zu
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