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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Hause?«
    »Nein.«
    »Wo kann ich sie finden?«
    Leon zögerte kurz, dann entschloss er sich zur Wahrheit, die ohnehin schon aktenkundig war.
    »Ich habe keine Ahnung. Sie ist seit ein paar Tagen nicht mehr nach Hause gekommen, und ich habe deswegen schon bei der Polizei angerufen.«
    »Eine Vermisstenanzeige ist mir aber nicht bekannt.«
    »Der Beamte hat gesagt, bei Erwachsenen warte man eine Karenzzeit von mindestens vierzehn Tagen, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen.«
    Kroeger nickte wieder. »Das ist richtig. Sonst würden wir unsere Zeit nur noch mit Ehekrisen verschwenden.«
    Er trat an den Kamin und nahm einen Silberrahmen in die Hand. »Hübsch.«
    »Ja. Das hat Natalie geschossen.«
    An dem Tag, an dem wir uns kennenlernten.
    »Ich sehe hier nur Bilder von Ihnen«, wunderte sich der Polizist. »Keines von Ihrer Frau.«
    »Berufskrankheit. Natalie ist Fotografin und steht lieber hinter der Kamera.«
    »Hmm.«
    Leon meinte den wachsenden Argwohn des Polizisten förmlich zu spüren und entschied, erst einmal den Grund seines Besuchs abzuwarten, bevor er sich offenbarte.
    »Was genau wollten Sie mir denn zeigen?«
    »Hier.«
    Kroeger zog ein Mobiltelefon aus der Tasche seines Ledermantels und reichte es ihm.
    »Woher haben Sie das?«, fragte Leon, der sofort erkannte, dass es sein eigenes war. Er wunderte sich, weshalb er es in den letzten Stunden überhaupt nicht vermisst hatte.
    »Wir haben es sichergestellt.«
    Sichergestellt?
    »Wann?«
    Kroeger stellte eine unerwartete Gegenfrage: »Ist mit Ihren Augen alles okay, Herr Nader?«
    »Wie bitte?«
    »Sie blinzeln häufig. Außerdem weichen Sie ständig meinem Blick aus.«
    »Ich habe nichts zu verbergen«, log Leon und wechselte rasch das Thema, indem er auf das Handy deutete: »Wo haben Sie es denn gefunden?«
    »Bei einem Gewaltverbrechen darf ich das aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sagen«, antwortete der Polizist.
    Gewaltverbrechen?
    »Ihre Kontaktdaten waren nicht gespeichert, deshalb hat es einige Zeit gedauert, bis wir Sie über den Netzbetreiber als Besitzer identifizieren konnten.«
    Ermittlungstaktische Gründe?
    Leon hielt sich an der Kante des Esstischs fest. Seine Benommenheit wuchs sekündlich.
    »Danke für den Aufwand«, murmelte er teilnahmslos. Das Telefon lag wie ein Fremdkörper in seiner Hand. Die Speicherkapazität des Akkus lag bei unter zehn Prozent. Als er die Tastensperre löste, begann es zu klingeln, allerdings nicht in seiner Hand, sondern in der Brusttasche seines Overalls.
    »Sie haben noch ein weiteres Handy?«, fragte Kroeger irritiert.
    »Was? Äh, ja.«
    »Wollen Sie nicht rangehen?«
    »Nicht so wichtig«, schüttelte er den Kopf.
    Den Besitz von Natalies Handy mochte er vielleicht noch erklären können, doch wenn er zusammen mit dem Telefon die blutverschmierte Bluse aus seiner Brusttasche zog, sähe die Sache schon anders aus …
    »Na schön!« Kroeger stand mittlerweile neben ihm am Esstisch, nicht mehr an den Bilderrahmen auf dem Kaminsims interessiert, und wartete quälend lange, bis das Telefon endlich nicht mehr klingelte, bevor er weitersprach.
    »Sie können sich ja denken, dass die Kriminalpolizei Besseres zu tun hat, als Botengänge zu erledigen. Ich bin natürlich nicht hier, um Ihnen Ihr Handy zurückzugeben, sondern weil wir bei der Auswertung der gespeicherten Daten auf merkwürdige Inhalte gestoßen sind.«
    »Inhalte?«
    »Bilder, um genau zu sein. Öffnen Sie den Fotoordner.«
    Leon tat, wie ihm aufgetragen, und bereits das erste Bild versetzte ihm einen Stich ins Herz. Flüchtige Bekannte hätten ihn und Natalie darauf vermutlich kaum identifizieren können, denn sie waren beide verkleidet. Er sah aus wie ein alter Mann, mit Krückstock, Buckel, Doppelkinn und Säufernase. Sie hatte die Gestalt einer Bettlerin angenommen und wirkte ebenfalls um Jahre gealtert. Ihre Maskerade war täuschend echt, nur ihr gemeinsames, breites Lachen entlarvte sie.
    »Das Foto haben wir an Halloween geschossen, kurz bevor wir zu einer Kostümparty aufgebrochen sind«, erklärte Leon.
    Natalie hatte neben ihrem Studium Maskenbildnerin gelernt und an jenem Abend ein wahres Kunstwerk der Verwandlung vollbracht. Er erinnerte sich mit Wehmut an die Vorbereitungen. Am besten hatten ihm die geradezu intimen Berührungen während des Schminkens gefallen, die zarten Pinselstriche auf der Wange, die streichelnden Bewegungen, mit denen der Lidschatten aufgetragen worden war; ihre dunklen Augen und der leicht

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