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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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zurückkehrte.
    Das hab ich nicht getan. Das alles gehört mir nicht.
    Er kniete sich neben sie und versuchte es erst mit ihrem linken, dann mit dem anderen Handgelenk, aber der Handschellenschlüssel wollte nicht passen, und weitere konnte er nicht finden, auch nicht in den Schubladen des Nachttisches, die er nach und nach aufriss und in denen nichts als alte Pornohefte waren.
    »Lon?«, hörte er Natalie neben sich murmeln.
    Ihr Stöhnen klang jetzt eindeutig nach seinem Namen, aber sie war weiterhin nicht ansprechbar. Leon vermutete, dass sie im Schlaf redete und nur unbewusst auf seine Stimme und seine Berührungen reagierte, weswegen er Angst hatte, die ohnehin schon brüchige Verbindung zu ihr aufzugeben, wenn er sie jetzt alleine ließ.
    Aber es ging nicht anders. Er musste Hilfe holen.
    So schnell er nur konnte, eilte er durch die Planen zu der Geheimtür zurück, um den nächsten Schock zu erleben. Die Tür musste mit einem Brandschutzmechanismus oder Ähnlichem versehen sein, der sie automatisch in ihre Ausgangsposition zurückgeschoben und verschlossen hatte. Wie an der Außen-, gab es auch auf der Innenseite des Türblatts ein Tastenfeld, doch diesmal reagierte das elektronische Schloss nicht auf die a-Moll-Kombination.
    Leon versuchte jede nur erdenkliche Buchstabenfolge. Seinen Namen, Natalies, andere Tonarten … Er tippte sogar HILFE in verschiedenen Sprachen ein, doch alles, was er erreichte, war, dass er sich von Sekunde zu Sekunde erschöpfter fühlte. Er musste gähnen und gegen den Trieb ankämpfen, sich auf der Stelle auf den Boden zu legen.
    Nur kurz. Um wieder Kraft zu tanken.
    Hätte Natalie nicht wieder seinen Namen gerufen, angsterfüllt und mit schmerzverzerrter Stimme, diesmal unverkennbar deutlich, hätte er dem Sog, der ihn in den Schlaf zu ziehen drohte, womöglich sogar nachgegeben.
    Als er wieder bei ihr war, öffnete seine Frau das unverletzte Auge.
    Ihre Atmung beschleunigte sich sprunghaft, als sie ihn erkannte. Der Brustkorb hob und senkte sich, als wolle sie für einen Tauchgang Luft holen.
    »Ganz ruhig. Liebling. Ich tu dir nichts.«
    Nichts mehr.
    Sie begann, an ihren Fesseln zu rütteln.
    »Was hast du?«, fragte er, dann begriff er ihre panische Reaktion, als er die Lichtreflexion in ihren Pupillen sah.
    »Keine Sorge, ich bin wach.« Er zog sich das Stirnband mit der Kopfkamera über das Kinn, bis es ihm wie eine Kette um den Hals schlackerte.
    »Ich bin nicht hier, um dich zu filmen.«
    Oder um dir weh zu tun.
    Sie schien nicht überzeugt und rüttelte weiterhin an ihren Handschellen.
    »Tut mir leid, ich kann sie nicht öffnen«, sagte Leon resigniert. Dass es sich mit der Ausgangstür genauso verhielt und sie hier mit ihm gefangen war, verschwieg er ihr. Auch dass er genau wie sie große Mühe hatte, bei Bewusstsein zu bleiben, weshalb auch immer. Er hatte gedacht, ein solches Grauen, wie es ihm gerade widerfuhr, müsste die letzten Überlebensgeister aktivieren. Stattdessen schien es sie abzutöten.
    »Bitte … du musst …«, stöhnte Natalie.
    Sie war so schwach, dass sie nicht einen einzigen Satz zu Ende brachte.
    »Ja. Ich weiß.«
    Ich muss noch wach bleiben.
    »Bitte nicht …«
    Leon gähnte, ausgerechnet in diesem Moment, und er hasste sich dafür. Aber so unpassend es auch war, er konnte das Schlafbedürfnis seines Körpers nicht länger ohne weitere Hilfsmittel bekämpfen.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte er und küsste sie auf die Stirn. »Aber bald ist alles vorbei.«
    Sobald ich einen Weg hier rausgefunden habe. Er erinnerte sich an Ivana und an das Gemurmel im Schacht und schöpfte Hoffnung.
    »Ich werde bestimmt schon gesucht, Natalie.«
    Seine Frau schnaubte durch die Nase, eine Rotzblase zerplatzte, als sie weitere Wortfetzen hervorstieß, dann sagte sie etwas, was Leon das Herz zerriss.
    »… tut so weh, du musst auf …«
    »Das werde ich, Schatz. Ich werde damit aufhören. Ich werde dir nicht mehr weh tun.« Er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. »Es tut mir so leid. Ich verändere mich, wenn ich schlafe. Dann bin ich nicht mehr ich selbst.«
    Leon zog die Tablettendose mit den Koffeinpillen aus seiner Brusttasche. »Hier, sieh. Das sind deine, die werde ich nehmen. Ich werde wach bleiben, bis Hilfe kommt.«
    Und nicht mehr schlafwandeln. Ich werde dir nichts mehr antun.
    Sein Mund war so trocken, dass er große Mühe hatte, zwei Tabletten auf einmal zu schlucken, und als er es endlich geschafft hatte, fing Natalies Auge an

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