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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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sie. Als wäre ihr nie etwas geschehen. Als wäre sie nie verschwunden gewesen.
    Quicklebendig.
    »Komm her, Alba«, rief Ivana und schlug sich auffordernd auf beide Oberschenkel. Doch die schwarze Katze wedelte nur mit dem Schwanz und dachte gar nicht daran, ihre bequeme Position auf dem Sessel vor dem Kamin wieder aufzugeben.

33.
    L eon stieg so schnell hinunter, wie es sein Zustand erlaubte, wobei er diesmal weniger das Gefühl hatte, der Schacht führe in eine versteckte Zwischenwelt als vielmehr in sein Unterbewusstsein.
    Er hatte Ivanas Badezimmertür abgeschlossen, den Läufer beiseitegeschoben und darunter eine stumpfe Fliese entdeckt, deren hintere Kanten etwas stärker aus dem Fußboden hervorragten als die benachbarten. Er musste sie nur fest nach unten drücken, und schon hatte sich die Fliese aus ihrer Fassung gelöst und in einen Hebel verwandelt, mit dem die Luke geöffnet werden konnte.
    Mit jeder Stufe, die er jetzt der Dunkelheit entgegen nach unten kletterte, wurden die Stimmen in seinem Kopf lauter, die alle mehr oder minder dieselbe Frage stellten:
    Bist du noch bei Verstand? Oder ist das alles nur eine Illusion?
    Je dunkler es wurde, desto unsicherer war sich Leon, ob er das alles tatsächlich erlebte: die tote Katze, der röchelnde Apotheker, der Einstieg im Badezimmer.
    Die kalten Sprossen in seiner Hand.
    Unten angekommen, rückte Leon das Kamerastirnband in Position und aktivierte die Aufnahmelampe, die wieder seine einzige Lichtquelle sein würde.
    Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Luke hinter sich wieder zu schließen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die alte Helsing sich Sorgen machen und nachsehen würde, weshalb er nicht mehr aus dem Bad herauskam.
    Leon konnte nur hoffen, dass sie eine gewisse Anstandsfrist verstreichen ließ, bevor sie einen Weg fand, die Badezimmertür von außen zu öffnen.
    Er würde nur wenige Minuten brauchen, um seinen Verdacht zu überprüfen.
    Um die Tür mit dem ACHTUNG-Schild zu öffnen.
    Um herauszufinden, was ich im Schlaf getan habe.
    Am Ende der Sackgasse berührte er vorsichtig das freigelegte Bedienfeld in der Geheimtür. Er hatte so oft eine falsche Buchstabenkombination eingegeben, dass er nur hoffen konnte, das elektronische Schloss war nicht längst wegen zu vieler Fehlversuche gesperrt.
    Leon zog das Notenblatt, das er bei Tareski eingesteckt hatte, aus seiner Hosentasche und strich es glatt.

    Er spürte, er hielt die Lösung des Rätsels in der Hand.
Die Violine ist der Schlüssel!
    Der Violinschlüssel.
    Sein schlafwandlerisches Ich hatte Tareskis Klavierspiel gehört und sich eine Gedächtnisstütze gebaut. Um die Tür zu öffnen, musste er kein Passwort, sondern eine Tonfolge eingeben.
    Die hinter dem Violinschlüssel!
    Er betrachtete Tareskis Notenblatt, und zum ersten Mal in seinem Leben war er dankbar dafür, dass seine Zieheltern ihn früher jahrelang mit Trompetenunterricht gequält hatten, sonst hätten ihm die Punkte und Linien wenig gesagt.
    Leons Konzentration wurde durch Stimmen gestört, ein Gemurmel in weiter Entfernung, so leise wie ein Fernseher in der Nachbarwohnung. Aber es waren Stimmen, Plural, und eine davon klang nach Ivana, also hatte sie Hilfe geholt und die Luke in ihrem Badezimmer entdeckt.
    In so kurzer Zeit?
    Leon wandte sich wieder der Geheimtür und dem Notenblatt zu. Unvermittelt musste er an seine Eltern denken. An den Unfall. Er fragte sich, weshalb ihn ausgerechnet jetzt diese schrecklichen Erinnerungen heimsuchten. Leon starrte auf das Notenblatt in seinen Händen, und mit einem Mal hatte er das Gefühl, als würde ein Zahnrad in seinem Kopf in der richtigen Position einrasten und einen blockierten Gedankengang freilegen: Moll.
    Der Nachname seiner ersten Pflegeeltern.
    Die, die mich fortgeschickt haben. Weil ich im Schlaf mit einem Messer vor dem Bett ihres Sohnes stand.
    Adrian Moll.
    A-Moll.
    A-H-C-D-E-F-G-A
    Die Stimme in Leons Kopf, die ihn zur Eile mahnte, wurde leiser, als er die entsprechenden Tasten drückte. Und im Gegensatz zu den Geräuschen hinter ihm, die sowohl lauter wurden als auch näher kamen, waren die Stimmen in seinem Kopf vollends verstummt, als er ein letztes Mal auf A drückte.
    Es gab ein Geräusch, als hätte jemand eine Kakerlake zertreten, und die Tür sprang auf.
    Leon vergrößerte den mit einem Mal sichtbaren Spalt in der Wand, indem er das Türblatt mit seinem gesamten Körpergewicht nach innen drückte.
    Die Tür war noch nicht einmal halb offen, da hörte er das

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