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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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flachen Hand und etwas Spucke die Haare glättete, bevor er an der Haustür klingelte.
    Der Krach im Erdgeschoss war so laut, dass er nicht hören konnte, ob sich im Inneren der Wohnung etwas tat. Ungeduldig verzichtete er auf jegliche Höflichkeit und klingelte in kurzen Abständen immer wieder, so lange, bis endlich die Tür aufschnappte und zu Leons Verblüffung ein nackter, knöchriger Fuß in dem Spalt erschien.
    »Herr Nader?«, fragte Ivana Helsing überrascht, nachdem es ihr gelungen war, die Tür vollständig zu öffnen. Ihre Hände hatte sie dafür nicht benutzen können, denn die hielten einen Stapel mehrerer kleiner Pakete, der ihr vom Bauchnabel bis unter das Kinn reichte.
    »Mit Ihnen habe ich gar nicht gerechnet«, sagte sie und bückte sich umständlich, um ihre Last auf einen Stuhl neben der Garderobe zu balancieren. »Ich dachte, Sie wären der Postbote, den ich für eine Abholung bestellt habe.«
    Ivana schien sich an Leons stark verwahrlostem Anblick nicht zu stören. Selbst die Stirnbandkamera, die ihm um den Hals schlackerte, war ihr keiner Erwähnung wert. Sie wirkte selbst etwas derangiert und um einiges älter als bei ihrer letzten Begegnung. Die Schatten unter den Augen waren dunkler, die Haut grauer, und ihre Haare standen wirr vom Kopf, als habe er sie geweckt.
    »eBay«, grinste sie schelmisch mit einem raschen Blick zu den Paketen auf dem Stuhl. »Sie wollen gar nicht wissen, was gewisse Personen mit abnormen Gelüsten bei alten Menschen wie mir bestellen. Na ja. Sie sind ja mit einer Künstlerin verheiratet. Ihnen sind diese Abgründe gewiss nicht fremd. Und ich bessere mir mit den Päckchen meine Rente auf.«
    »Ja, verstehe«, antwortete Leon abwesend, der Ivana gar nicht richtig zugehört hatte. Die schweren Schritte, die von oben die Treppe herunterstapften, lenkten ihn ab.
    Wer kann das sein?
    Über ihm wohnte niemand mehr außer Tareski.
    »Darf ich eintreten?«, fragte Leon nervös.
    Zu seinem Erstaunen zögerte die alte Dame. »Nun ja. Ich bin gerade nicht auf Gäste eingestellt, wissen Sie.«
    Schwere Schritte, eindeutig die eines Mannes, kamen näher.
    »Das verstehe ich. Aber die Handwerker scheinen meine Wasserleitung beschädigt zu haben.«
    Ivana kniff erstaunt die Augenbrauen hinter ihrer Brille zusammen. »Ich dachte, die kümmern sich nur um die Treppe?«
    »Ja. Verrückt, was? Die können es sich auch nicht erklären. Aber irgendwie ist es passiert, und jetzt stehe ich ohne Wasser da.«
    Leon wagte nicht, sich umzudrehen. Wenn derjenige, der die Stufen hinuntermarschierte, ihn jetzt noch nicht sehen konnte, dann musste er jeden Augenblick den Absatz erreicht haben, von dem aus das möglich war.
    »Und wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Ivana.
    »Es ist mir sehr unangenehm. Aber dürfte ich Ihre Toilette benutzen?«
    Den gleichen Blick, mit dem Ivana ihn jetzt anstarrte, musste er dem Boten geschenkt haben, der ihm die Kamera geliefert hatte. Nur dass es Leon, im Gegensatz zu dem Witzbold, ernst war. Todernst. Er musste tatsächlich in Ivanas Badezimmer, und das so schnell wie möglich, wenn auch nicht, um dort auf die Toilette zu gehen.
    »Tja, also, ich … natürlich. Kein Problem.«
    Ivana trat beiseite, und Leon drängte an ihr vorbei, kurz nachdem die Schritte hinter ihm nicht nur lauter, sondern auf einmal auch eindeutig schneller geworden waren.
    Hastig schlug er die Tür zu. Am liebsten hätte er durch den Spion gesehen, aber das hätte seine Nachbarin nur noch mehr verstört.
    »Da entlang, bitte«, wies sie ihm den Weg, den er schon kannte. »Und stören Sie sich bitte nicht an der Unordnung.«
    »Kein Problem. Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
    Leon ging an der Kammer vorbei, in der vorhin noch ein Karton gestanden hatte und die jetzt komplett leer war. Der Teppich wellte sich unter seinen Füßen, wegen seines losen Stiefels musste er achtgeben, nicht zu stolpern.
    »Sie ist übrigens wieder da«, hörte er Ivana sagen, als er die Tür zum Badezimmer öffnen wollte.
    Er schnellte zu ihr herum. »Wer?«
    Die alte Dame lächelte so breit, dass er die Einfassung ihres Gebisses im Oberkiefer aufblitzen sah.
    »Haben Sie sie denn nicht gesehen?«, fragte sie mit einem erleichterten Lächeln.
    Leon drehte sich zu dem Wohnzimmer, in dessen Richtung seine Nachbarin mit ausgestrecktem Arm deutete, und glaubte, sein Brustkorb würde jeden Moment unter den Anstrengungen seines Herzens zerreißen.
    Das ist unmöglich.
    Und doch, wahrhaftig, dort saß

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