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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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Fragen, beschließt aber, sie für ihren Besuch bei jemand anderem aufzuheben. Den übrigen Nachmittag unterhalten sie sich nur noch über Mode und Kunstbewegungen. Mme. Padva besteht darauf, für sie eine schlichtere Ausführung des elfenbeinfarbenen und schwarzen Kleids in Pfirsich und Creme anzufertigen und zeichnet es in wenigen Minuten als Skizze.
    »Wenn ich mich irgendwann zur Ruhe setze, geht das alles an dich, meine Liebe«, sagt Mme. Padva, bevor Lainie sich verabschiedet. »Ich könnte es niemandem sonst anvertrauen.«
    *
    Das Büro ist groß, wirkt aber aufgrund der Menge seines Inhalts kleiner, als es ist. Die vorwiegend aus Milchglas bestehenden Wände werden größtenteils von Schränken und Regalen verdeckt. Der Zeichentisch am Fenster verschwindet völlig unter dem penibel geordneten Chaos aus Papieren, Schaubildern und Bauplänen. Der Mann mit der Brille, der dahinter sitzt, passt optisch so gut in seine Umgebung, dass er fast nicht zu sehen ist. Das Kratzen seines Bleistifts auf Papier ist so rhythmisch und präzise wie das Ticken der Uhr in der Ecke.
    Es ist dasselbe Büro in ähnlichen Räumlichkeiten wie vorher in London, dann in Wien und nun hier in Basel.
    Mr Barris legt den Bleistift ab und schenkt sich einen Tee ein. Als er aufblickt und Lainie Burgess in der Tür stehen sieht, fällt ihm die Tasse fast aus der Hand.
    »Dein Assistent scheint im Augenblick nicht da zu sein«, sagt sie. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Schon in Ordnung«, sagt Mr Barris, stellt die Teetasse ab und erhebt sich. »Ich hatte erst später am Abend mit dir gerechnet.«
    »Ich habe einen früheren Zug genommen«, sagt Lainie. »Und ich wollte dich sehen.«
    »Mehr Zeit mit dir zu verbringen ist immer ein Vergnügen«, sagt Mr Barris. »Tee?«
    Lainie nickt und bahnt sich den Weg durch das überfüllte Büro zum Stuhl auf der anderen Schreibtischseite.
    »Worüber habt ihr gesprochen, als Tara dich in Wien besucht hat?«, fragt sie, noch ehe sie sitzt.
    »Ich dachte, das wüsstest du«, antwortet er, ohne sie anzusehen, und schenkt ihr konzentriert Tee ein.
    »Wir sind zwei unterschiedliche Menschen, Ethan. Nur weil du dich nie entscheiden konntest, in wen von uns du verliebt bist, macht uns das noch nicht austauschbar.«
    Er stellt die Kanne ab und rührt ungefragt Milch und Zucker in ihren Tee, da er weiß, wie sie ihn gerne trinkt.
    »Ich habe dich gebeten, mich zu heiraten, und du hast mir nie eine Antwort gegeben.«
    »Du hast mich gefragt, nachdem sie tot war. Wie konnte ich da sicher sein, ob das eine von dir getroffene Wahl war oder eine, die für dich getroffen wurde?«
    Er reicht ihr den Tee und legt seine Hand über ihre, als sie die Tasse nimmt.
    »Ich liebe dich«, sagt er. »Ich habe sie auch geliebt, aber das war nie dasselbe. Ihr alle seid mir so lieb wie meine eigene Familie. In manchen Fällen sogar noch lieber.«
    Er kehrt zu seinem Stuhl zurück, nimmt die Brille ab und putzt sie mit seinem Taschentuch.
    »Ich weiß nicht, warum ich dieses Ding trage«, sagt er mit Blick auf die Brille. »Ich brauche sie seit Jahren nicht mehr.«
    »Du trägst sie, weil sie dir steht.«
    »Danke.« Er setzt sie wieder auf und sieht zu, wie Lainie an ihrem Tee nippt. »Mein Angebot steht immer noch.«
    »Ich weiß«, sagt Lainie. »Ich denke drüber nach.«
    »Lass dir Zeit«, sagt Mr Barris. »Allem Anschein nach haben wir jede Menge davon.«
    Lainie nickt und stellt ihre Teetasse auf den Schreibtisch.
    »Tara war immer die Rationale und Vernünftige«, sagt sie. »Wir haben uns gut ergänzt, das war mit ein Grund, warum wir in allem so geglänzt haben. Sie hat mich mit meinen verrückten Ideen wieder auf den Boden geholt. Ich habe die Einzelheiten gesehen, sie das große Ganze. Deswegen bin ich hier und sie nicht. Ich habe alle Elemente separat betrachtet und mich nie darum gekümmert, ob sie richtig zusammenpassen.«
    Nur das schwere Ticken der Uhr unterbricht das eintretende Schweigen.
    »Ich will nicht darüber sprechen«, sagt Mr Barris, als das Ticken unerträglich wird. »Ich wollte es damals nicht mit ihr und ich will es auch jetzt nicht mit dir.«
    »Du weißt, was hier vorgeht, oder?«, fragt Lainie.
    Mr Barris rückt einen Papierstapel auf dem Schreibtisch gerade, während er seine Antwort überdenkt.
    »Ja«, sagt er schließlich. »Allerdings.«
    »Hast du es meiner Schwester erzählt?«
    »Nein.«
    »Dann erzähle es mir.«
    »Ich kann nicht. Eine Erklärung wäre ein Vertrauensbruch, und

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