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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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leise, während sie das Kachelmuster auf dem Tisch anstarrt.
    »Nein, davor. Ihr Fehler war, dass sie den falschen Leuten die falschen Fragen gestellt hat. Ich habe nicht vor, diesen Fehler zu wiederholen.«
    »Und deshalb bist du hier.«
    »Genau deshalb bin ich hier«, sagt Lainie. »Wie lange kennen wir uns jetzt, Celia?«
    »Über zehn Jahre.«
    »Dein Vertrauen zu mir ist inzwischen hoffentlich groß genug, dass du mir sagst, was hier wirklich vor sich geht. Und bitte sag mir nicht, es sei nichts oder ich soll mich nicht mit solchen Fragen belasten.«
    Celia stellt ihr Glas auf die Untertasse. Sie erklärt alles, so gut sie kann. In den Details bleibt sie vage, sie erzählt nur grob von der Prüfung und dass der Zirkus als Austragungsort dient. Dass bestimmte Leute mehr wissen als andere, wobei sie nicht jeden Einzelnen mit Namen nennt und deutlich macht, dass auch sie nicht alles weiß.
    Lainie sagt nichts, hört nur aufmerksam zu und trinkt gelegentlich einen Schluck Tee.
    »Wie lange weiß Ethan es schon?«, fragt sie, als Celia fertig ist.
    »Schon sehr lange«, antwortet Celia.
    Lainie nickt und hebt ihr Glas an die Lippen, doch statt zu trinken, öffnet sie die Finger und lässt los.
    Die Tasse kracht auf die Untertasse.
    Das Glas zersplittert, das Geräusch hallt durch den Raum. Der Tee fließt auf die Kacheln.
    Noch ehe jemand den Lärm beachtet, steht die Tasse wieder aufrecht. Die zersplitterten Teile formen sich neu um die Flüssigkeit, das Glas ist wieder heil und die gekachelte Tischoberfläche trocken.
    Die zu ihnen herübersehen, nehmen an, dass sie sich den Lärm wohl nur eingebildet haben, und widmen sich wieder ihrem Tee.
    »Warum hast du es nicht gestoppt, bevor die Tasse zerbrochen ist?«, fragt Lainie.
    »Ich weiß nicht«, antwortet Celia.
    »Wenn du irgendwann etwas von mir brauchst, frag mich bitte«, sagt Lainie und steht auf, um zu gehen. »Ich bin es leid, dass alle ihre Geheimnisse hüten und andere dadurch umkommen. Wir sind alle in euer Spiel verstrickt, nur lassen wir uns nicht so leicht reparieren wie Teetassen.«
    Nach Lainies Abschied bleibt Celia noch eine Weile allein sitzen, und beide Tees werden kalt.

Stürmische Meere
    DUBLIN, JUNI 1901
    N achdem die Zauberkünstlerin sich verbeugt hat und vor den Augen des begeisterten Publikums verschwunden ist, geht der Beifall ins Leere. Die Zuschauer erheben sich von ihren Plätzen, und manche plaudern mit ihren Freunden, voll Bewunderung über diesen oder jenen Trick, während sie nacheinander zur Tür hinausgehen, die nunmehr wieder in der gestreiften Zeltwand erschienen ist.
    Ein Mann erhebt sich nicht von seinem Platz im äußeren Stuhlkreis. Seine Augen, die im Schatten seiner Hutkrempe nahezu verborgen sind, blicken konzentriert auf die Stelle in der Kreismitte, wo noch vor wenigen Minuten die Zauberkünstlerin stand.
    Der Rest des Publikums geht.
    Der Mann bleibt weiterhin sitzen.
    Nach einer Weile verblasst die Tür in der Zeltwand wieder und ist nicht mehr sichtbar.
    Der Mann würdigt sie keines Blickes, starrt unverwandt auf die Stelle.
    Wenig später sitzt Celia Bowen vor ihm, zur Seite gedreht, die Arme auf die Rückenlehne gestützt. Sie trägt noch immer ihr Kostüm, ein weißes Kleid, über und über mit einzelnen Puzzlestücken besät, die sich zum dunklen Saum hin zusammenfügen.
    »Du kommst mich besuchen«, sagt sie und kann die Freude in ihrer Stimme kaum verbergen.
    »Ich habe ein paar Tage frei«, antwortet Marco. »Und du bist schon länger nicht mehr in der Nähe von London gewesen.«
    »Im Herbst kommen wir wieder nach London«, sagt Celia. »Das ist fast schon Tradition geworden.«
    »So lange konnte ich nicht warten, ich musste dich vorher sehen.«
    »Ich bin auch froh, dich zu sehen«, sagt Celia leise. Sie zieht seinen Hutrand gerade.
    »Gefällt dir das Wolkenlabyrinth?«, fragt er und nimmt ihre Hand in seine.
    »Ja, sehr«, erwidert sie, und ihr stockt der Atem, als seine Finger sich über ihren schließen. »Hast du unseren Mr Barris überredet, dir dabei zu helfen?«
    »Ja, allerdings«, sagt Marco und streicht mit dem Daumen über die Innenseite ihres Handgelenks. »Ich dachte mir, beim Austarieren des Gleichgewichts könnte ich etwas Hilfe brauchen. Im Übrigen hast du dein Karussell, und das Labyrinth teilen wir uns, da fand ich es nur gerecht, dass ich auch ein Barris-Original habe.«
    Sein eindringlicher Blick und seine Berührung überfluten Celia wie eine Welle, und sie entzieht ihm ihre Hand,

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