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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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Celia.
    »Unser Freund Bailey sollte eigentlich mit uns kommen.«
    »Ach ja, Widget hat mir davon erzählt«, sagt Celia. »Und das ist er also nicht?«
    »Nein«, sagt Poppet. »Wir haben auf ihn gewartet, aber er ist nicht gekommen, allerdings weiß ich nicht, ob es daran liegt, dass er nicht wollte oder dass wir früher abgefahren sind.«
    »Verstehe«, sagt Celia. »Sich zu entscheiden, ob man weglaufen und sich dem Zirkus anschließen soll oder nicht, scheint mir eine ziemlich große Herausforderung zu sein. Vielleicht hatte er nicht genug Zeit, um es sich gut zu überlegen.«
    »Aber er sollte doch mitkommen«, sagt Poppet. »Ich weiß, dass er mitkommen sollte.«
    »Hast du etwas gesehen?«, fragt Celia.
    »Ein bisschen.«
    »Wie geht das, ein bisschen sehen?«, fragt Celia.
    »Es ist anders als vorher«, sagt Poppet. »Ich sehe nichts mehr so deutlich wie früher. Nur noch Ausschnitte und Bruchstücke, die keinen Sinn ergeben. Seit einem Jahr ergibt hier nichts mehr einen Sinn, und das weißt du.«
    »Ich glaube, das ist übertrieben, aber ich verstehe, dass es einem so vorkommen kann«, sagt Celia.
    »Das ist nicht übertrieben«, sagt Poppet mit erhobener Stimme.
    Die Lüster fangen an zu beben, und Celia schließt die Augen, holt tief Luft und wartet, bis sie wieder sanft schwingen, dann ergreift sie das Wort.
    »Poppet, was letztes Jahr passiert ist, empört mich mehr als irgendjemanden sonst. Und ich habe dir schon einmal gesagt, es ist nicht deine Schuld, und niemand hätte es verhindern können. Weder du noch ich oder irgendein anderer.«
    »Ja«, sagt Poppet. »Aber was nützt es, die Zukunft zu sehen, wenn ich nichts tun kann, um sie aufzuhalten?«
    »Du kannst Dinge nicht aufhalten«, entgegnet Celia. »Du kannst dich nur auf sie vorbereiten.«
    »Du könntest sie aufhalten«, murmelt Poppet mit einem Blick auf die vielen Bücher. Celia legt einen Finger unter Poppets Kinn und dreht ihren Kopf zu sich.
    »Nur eine Handvoll Menschen in diesem Zug ahnt ansatzweise, wie wenig der Zirkus ohne mich wäre«, sagt sie. »Und obwohl ihr beide dazugehört und äußerst klug seid, könnt ihr nicht ermessen, was hier vorgeht, und wenn ihr es wüsstet, würde es euch nicht gefallen. Und jetzt erzähl mir das bisschen, das du gesehen hast.«
    Poppet schließt die Augen und versucht sich zu konzentrieren. »Ich weiß nicht«, sagt sie. »Es war hell, alles hat gebrannt, und Bailey war da.«
    »Du musst dich schon etwas mehr bemühen«, sagt Celia.
    »Ich kann nicht«, erwidert Poppet. »Ich habe nichts mehr klar gesehen, seit –«
    »Deshalb wolltest du danach vermutlich nichts mehr deutlich sehen, und das kann ich dir wirklich nicht verübeln. Aber wenn ich etwas verhindern soll, egal was, brauche ich mehr Informationen.«
    Sie öffnet den Verschluss der langen Silberkette an ihrem Hals, überprüft die Zeit auf der daran hängenden Taschenuhr und hält sie dann Poppet vor die Nase.
    »Bitte, Poppet«, sagt Celia. »Du brauchst dazu nicht die Sterne. Konzentriere dich einfach. Auch wenn du nicht willst.«
    Poppet runzelt die Stirn und richtet ihre Aufmerksamkeit auf die silberne Uhr, die im warmen Licht schaukelt. Sie kneift die Augen zusammen und konzentriert sich auf die Spiegelungen in dem gewölbten Glas, dann wird ihr Gesichtsausdruck milder, und sie blickt auf etwas jenseits der Uhr und des Zugs.
    Leise zuckend schließen sich ihre Augen, sie beginnt zu schwanken und fällt nach hinten. Widget springt herbei und fängt sie rasch auf, bevor sie zu Boden fällt.
    Mit Celias Hilfe trägt er Poppet zu einer der samtbezogenen Bänke am Tisch, während eine geblümte Porzellantasse auf einem Bord in der Nähe sich von selbst mit dampfendem Tee füllt.
    Poppet blinzelt und betrachtet die Lüster wie zum ersten Mal, wendet sich dann wieder Celia zu und nimmt von ihr den Tee entgegen.
    »Das hat weh getan«, sagt sie.
    »Tut mir leid, Liebes«, erwidert Celia. »Ich glaube, deine Fähigkeit zu sehen wird besser, und deshalb ist es noch mühsamer, sie zu unterdrücken.«
    Poppet nickt und reibt sich die Schläfen.
    »Erzähl mir alles, was du gesehen hast«, sagt Celia. »Alles. Macht nichts, wenn es keinen Sinn ergibt. Versuch, es zu beschreiben.«
    Poppet schaut in ihren Tee.
    »Da ist ein Feuer«, sagt sie. »Damit fängt es an. Es ist größer als das auf dem Platz, und nichts hält es auf. Als würde der ganze Platz brennen, es ist furchtbar laut und heiß und …« Poppet verstummt und schließt die Augen,

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