Der Nachtzirkus
rechnet.
Doch da sind nur sanft schwebende Federn und flatternde Spielkarten. Silberne Statuen mit starrem Blick. Im Schachbrettmuster bemalte Fußböden mit freien Feldern.
Überall sind Spuren von ihm, aber nichts, worauf sie sich konzentrieren könnte. Nichts zum Festhalten.
Der Boden des Flurs mit den vielen unterschiedlichen Türen ist verschneit und trägt Spuren von möglichen Fußabdrücken, vielleicht sind es aber auch nur Schatten.
Und Celia weiß nicht, wohin sie führen.
*
Marco schnappt nach Luft, als wäre er unter Wasser gewesen, ohne es zu merken.
Sein erster zusammenhängender Gedanke ist, dass er nicht erwartet hätte, in einem Feuer gefangen zu sein und dabei so zu frieren.
Die kühle Luft ist scharf und beißend, in allen Richtungen sieht er nur Weiß.
Als seine Augen sich eingewöhnen, erkennt er den Schatten eines Baums. Die langen Zweige einer mit Raureif bedeckten weißen Trauerweide hängen um ihn herum.
Er tritt einen Schritt vor, und der Boden unter seinen Füßen ist beunruhigend weich.
Er steht mitten im Eisgarten.
Der Brunnen in der Mitte ist versiegt, das normalerweise plätschernde Wasser ruhig und still.
Durch das viele Weiß ist es nur schwer zu erkennen, aber der gesamte Garten ist transparent.
Er blickt auf seine Hände. Sie zittern leicht, scheinen aber fest zu sein. Sein Anzug bleibt dunkel und undurchsichtig.
Als Marco nach einer Rose greift, fahren seine Finger ohne großen Widerstand durch die Blütenblätter, als wären sie aus Wasser und nicht aus Eis.
Er betrachtet noch immer die Rose, als er hinter sich ein Keuchen hört.
*
Celia schlägt die Hände vor den Mund, traut ihren Augen nicht. Allein in dem eisigen Blumenmeer, hat sie sich so oft vorgestellt, Marco hier zu sehen, und nun kann sie fast nicht glauben, dass er in seinem dunklen Anzug vor einem hellen Rosenstrauch steht.
Dann dreht er sich um und schaut sie an. Sobald sie seine Augen sieht, schwinden all ihre Zweifel.
Einen Augenblick wirkt er so jung, dass sie in ihm den kleinen Jungen sieht, der er früher einmal war, Jahre bevor sie ihm begegnet ist, als sie bereits verbunden, aber noch weit voneinander entfernt waren.
Sie möchte so vieles sagen, Dinge, die sie glaubte ihm nie mehr sagen zu können. Doch nur eines erscheint ihr wirklich wichtig.
»Ich liebe dich«, sagt sie.
Die Worte hallen durch das Zelt und lassen die gefrorenen Blätter leise rascheln.
*
Marco starrt sie im Näherkommen nur an und hält sie für einen Traum.
»Ich dachte, ich hätte dich verloren«, sagt sie, als sie bei ihm ist, ihre Stimme ein zittriges Flüstern.
Sie scheint so echt zu sein wie er, nicht transparent wie der Garten. Sie wirkt blühend und lebhaft vor dem weißen Hintergrund, ihre Wangen sind leicht gerötet, ihre dunklen Augen schwimmen in Tränen.
Er hebt die Hand an ihr Gesicht, voller Angst, seine Finger könnten genauso mühelos durch sie hindurchfahren wie bei der Rose. Und ist überwältigt vor Erleichterung, als sie sich fest und warm und lebendig anfühlt.
Er zieht sie in seine Arme, seine Tränen fallen in ihr Haar.
»Ich liebe dich«, sagt er, als er seine Stimme wiederfindet.
*
Engumschlungen stehen sie da, keiner möchte den anderen loslassen.
»Ich musste das verhindern«, sagt Celia. »Ich konnte dich nicht loslassen.«
»Was hast du getan?«, fragt Marco. Er weiß immer noch nicht genau, ob er das Geschehene versteht.
»Ich habe den Zirkus als Maßstab benutzt«, sagt Celia. »Ich wusste nicht, ob es funktionieren würde, aber ich konnte dich nicht gehen lassen, ich musste es versuchen. Ich wollte dich mitnehmen, und dann konnte ich dich nicht finden und dachte, ich hätte dich verloren.«
»Ich bin hier«, sagt Marco und streichelt ihr Haar. »Ich bin hier.«
Er hatte nicht damit gerechnet, von der Welt befreit zu werden und sich in einem begrenzten Raum wiederzufinden. Er fühlt sich nicht eingegrenzt, nur abgesondert, als würden er und Celia den Zirkus lediglich an manchen Punkten berühren und nicht in ihm aufgehen.
Er wirft einen Blick auf die Bäume ringsum, die frostweiß herabhängenden Weidenzweige, die gestutzten Hecken, die den nahe gelegenen Weg wie Geister säumen.
Erst dann fällt ihm auf, dass der Garten schmilzt.
»Das Feuer ist erloschen«, sagt Marco. Nun spürt er die Leere. Er spürt den Zirkus um sich herum, als hinge er wie Nebel an ihm, als könnte er die Hand ausstrecken und den fernen Eisenzaun berühren. Den Zaun, der in alle Richtungen so
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