Der Nachtzirkus
geheimnisvoll gehalten hatte, sind ein und dieselbe Person. Das überrascht mich, aber gegen eine schöne Überraschung ist nichts einzuwenden. Wobei mich doch interessieren würde, warum Sie mir den ersten Brief überhaupt geschrieben haben.«
»Ich mochte Ihre Artikel über den Zirkus«, sagt Celia. »Sie sind aus einer Perspektive verfasst, die ich nicht einnehmen kann, weil ich … ihn anders begreife. Ich sehe den Zirkus gern durch Ihre Augen.« Als sie zu ihm aufblickt, strahlen seine sanften blauen Augen im Licht der Nachmittagssonne, die durch die Fenster fällt und die Sägemehlstäubchen in der Luft erhellt.
»Danke, Miss Bowen.«
»Celia«, verbessert sie ihn.
Er nickt ihr nachdenklich zu, dann setzt er die Führung fort.
Die hinteren Wände sind mit fertigen oder fast fertigen Zeitmessern bestückt. Uhren, die auf eine letzte Lackschicht oder andere Kleinigkeiten warten. Die Uhren am Fenster sind bereits in Gang, eine jede auf ihre eigene Weise und doch alle zusammen im gleichen harmonischen Rhythmus, eine Symphonie aus sorgsam geordnetem Ticken.
Eine Uhr fällt Celia besonders auf. Sie hängt nicht an der Wand und steht auch nicht im Regal, sondern auf einem Tisch.
Ein wunderschönes Stück, mehr Skulptur als Uhr. Nicht aus Holz, wie so viele, sondern hauptsächlich aus dunklem, oxidiertem Metall. Ein großer, runder Käfig auf einem Holzboden, aus dem geschnitzte weiße Flammen lodern. Innen hängen einander überlappende, mit Ziffern und Symbolen versehene Metallbänder von der Käfigdecke, zwischen den sichtbaren Zahnrädern und einer Reihe von Sternen, die aus der filigranen Haube fallen.
Aber die Uhr rührt sich nicht.
»Sie erinnert mich an das Feuer auf dem Zirkusplatz«, sagt Celia. »Ist sie noch nicht fertig?«
»Doch, aber sie ist kaputt. Es war ein Experiment, und die Einzelteile sind schwer aufeinander abzustimmen.« Er dreht die Uhr um, damit Celia sehen kann, wie das Räderwerk sich durch den gesamten Käfig erstreckt und in alle Richtungen fortsetzt. »Die Mechanik ist kompliziert, denn sie zeigt auch die Sternbewegungen. Ich muss den Boden entfernen und alles auseinandernehmen, um sie wieder zum Laufen zu bringen. Bis jetzt hatte ich dazu noch nicht die Zeit.«
»Darf ich?«, fragt Celia und streckt die Hand aus. Als er nickt, zieht sie einen Handschuh aus und legt ihre Finger auf die Metallstäbe des Käfigs.
Sie betrachtet die Uhr nur nachdenklich, ohne an sie zu rühren. Friedrick kommt es so vor, als blicke sie die Uhr nicht nur an, sondern direkt durch sie hindurch.
Der Innenmechanismus beginnt sich zu bewegen, die Ritzel und Rädchen greifen ineinander, die mit Ziffern versehenen Reifen sortieren sich. Die Zeiger rücken auf die richtige Zeit, die Planetenkonstellationen bringen sich selbst in Ordnung.
Alles im Käfig rotiert langsam, und die silbernen Sterne funkeln im Licht.
Als das stete Ticken einsetzt, nimmt Celia ihre Hand weg.
Friedrick fragt nicht, wie sie das bewerkstelligt hat.
Stattdessen führt er sie zum Essen aus. Sie unterhalten sich zwar auch über den Zirkus, sprechen aber vorwiegend über Bücher und Kunst, Wein und Lieblingsstädte. Die Pausen dazwischen empfinden sie nicht als peinlich, auch wenn beide sich bemühen, beim Sprechen denselben Rhythmus wie im schriftlichen Austausch zu finden. Und sie wechseln oft von einer Sprache in die andere.
»Warum fragen Sie mich nicht, wie ich meine Zaubertricks mache?«, will Celia wissen, nachdem sie sicher ist, dass er das Thema nicht nur aus Höflichkeit meidet.
Friedrick denkt gründlich darüber nach.
»Weil ich es nicht wissen möchte«, antwortet er. »Ich bleibe lieber unaufgeklärt, um das Dunkle besser schätzen zu können.«
Über diese Bemerkung freut Celia sich so sehr, dass sie in keiner ihrer gewohnten Sprachen antworten kann und ihm lediglich über ihr Weinglas hinweg zulächelt.
»Außerdem«, fährt Friedrick fort, »stellt man Ihnen vermutlich ständig solche Fragen. Mir liegt mehr daran, etwas über die Frau als über die Zauberkünstlerin zu erfahren. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
»Absolut nicht«, sagt Celia.
Hinterher kehren sie gemeinsam zum Zirkus zurück, vorbei an roten Ziegeldächern, die im letzten Licht leuchten. Erst als sie den großen Platz erreichen, gehen sie getrennte Wege.
Friedrick ist immer noch schleierhaft, dass Celia nicht erkannt wird, als sie durch die Menschenmenge geht.
Während ihrer Vorstellung lächelt sie ihm nur einmal dezent zu, sonst
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