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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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gibt sie keinen Hinweis des Erkennens.
    Später, lange nach Mitternacht, erscheint sie im cremefarbenen Mantel und mit dunkelgrünem Schal an seiner Seite.
    »Ihr Schal sollte rot sein«, bemerkt Friedrick.
    »Ich bin keine echte rêveuse «, erwidert Celia. »Das wäre nicht richtig.« Aber noch während sie spricht, nimmt ihr Schal ein sattes, weinähnliches Burgunderrot an. »Besser?«
    »Perfekt«, sagt Friedrick, doch sein Blick bleibt auf ihre Augen fixiert.
    Celia nimmt seinen angebotenen Arm, dann gehen sie zusammen auf den gewundenen Wegen durch die schrumpfende Besuchermenge.
    An den folgenden Abenden wiederholen sie diese Prozedur. Der Zirkus bleibt allerdings nicht lange in München, denn schon bald trifft die Nachricht aus London ein.

In stillem Gedenken an Tara Burgess
    GLASGOW, APRIL 1895
    T rotz der vielen Trauergäste ist es ein stilles Begräbnis. Ohne Schluchzer und flatternde Taschentücher. In dem Meer aus traditionellem Schwarz finden sich nur ein paar vereinzelte Farbtupfer. Selbst der leichte Regen lässt die Stimmung nicht in Verzweiflung umschlagen. Es herrscht besinnliche Melancholie.
    Vielleicht liegt es daran, dass allen so ist, als wäre Tara Burgess nicht gänzlich verschwunden, wenn ihre Schwester gesund und munter ist. Wenn eine Hälfte des Paars noch atmet und lebt.
    Beim Anblick der überlebenden Schwester jedoch haben alle den Eindruck, dass hier etwas nicht stimmt. Etwas, das sie nicht recht benennen können. Etwas ist aus dem Lot.
    Lainie Burgess vergießt hin und wieder eine Träne, aber sie grüßt jeden Trauergast mit einem Lächeln und dankt ihm für sein Kommen. Sie scherzt, dass Tara vielleicht Witze gerissen hätte, läge sie nicht in dem glänzenden Holzsarg. Weitere Familienangehörige sind nicht anwesend, auch wenn einige entfernte Bekannte annehmen, dass die weißhaarige Frau und der Mann mit der Brille an Lainies Seite ihre Mutter und deren Mann sind. Sie täuschen sich, aber weder Mme. Padva noch Mr Barris stört der Irrtum.
    Überall sind Rosen. Rote Rosen, weiße Rosen, rosarote Rosen. Sogar eine schwarze Rose findet sich unter den Blüten, niemand weiß, von wem sie stammt. Chandresh zeigt sich nur für die weißen Blumen verantwortlich und trägt eine am Revers, an der er während des Gottesdienstes gedankenverloren herumspielt.
    Lainies Rede über ihre Schwester wird mit Seufzern, Lachen und traurigen Blicken aufgenommen.
    »Ich trauere nicht um den Verlust meiner Schwester, denn in meinem Herzen wird sie immer bei mir sein«, sagt sie. »Allerdings finde ich es reichlich ärgerlich, dass meine liebe Tara nicht mehr da ist und ich nun allein mit euch fertig werden muss. Ohne sie sehe ich nicht so gut. Ohne sie höre ich nicht so gut. Ohne sie geht es mir nicht so gut. Ohne eine Hand oder ein Bein wäre ich besser dran als ohne meine Schwester. Dann wäre sie wenigstens hier und könnte über mein Aussehen spotten oder zur Abwechslung mal sagen, dass sie die Hübschere ist. Wir alle haben unsere Tara verloren, aber ich habe auch einen Teil von mir verloren.«
    Auf dem Friedhof erscheint eine Artistin, die auch einigen nicht aus dem Kreis des Cirque des Rêves stammenden Trauergästen bekannt ist. Sie ist von Kopf bis Fuß in schneeigstes Weiß gekleidet. An ihrem Kostüm haften mit Federn besetzte Flügel, die am Rücken herabhängen und sanft im Wind flattern, während sie starr wie eine Statue dasteht. Ihre Anwesenheit scheint viele Trauergäste zu überraschen, aber sie richten sich nach Lainie, die vom Anblick des lebenden Engels am Grab ihrer Schwester entzückt ist.
    Immerhin war es die Idee der Burgess-Schwestern, solche Statuen im Zirkus einzuführen. Die Artisten verharren in aufwendigen Kostümen und mit bemalter Haut reglos auf Sockeln, die an exponierten Stellen zwischen den Zelten stehen. Im Laufe von Stunden verändern sie ihre Position manchmal gänzlich, aber so qualvoll langsam, dass viele Betrachter sie für raffiniert gefertigte Automaten und nicht für echte Menschen halten.
    Im Zirkus sind mehrere solcher Artisten. Die sternenübersäte Kaiserin der Nacht. Der finstere schwarze Pirat. Die Frau, die im Augenblick wie ein Schutzengel über Tara Burgess wacht, ist den meisten als Schneekönigin bekannt.
    Als der Sarg in die Erde gesenkt wird, ertönt ein ganz leises Schluchzen, aber es ist schwer zu bestimmen, von wem es kommt und ob es nicht vielleicht ein Gemisch aus Seufzern, Wind und scharrenden Füßen ist.
    Inzwischen regnet es stärker,

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