Der Nachtzirkus
Vielzahl hoher, aber unfertiger Wände aus gepresster Erde und aufeinandergeschichteten Steinen.
Celia steigt vorsichtig die Steinstufen hinunter, Marco folgt ihr. Unten angelangt, erscheinen die Wände als Labyrinth, so dass immer nur ein kleiner Teil des Gartens sichtbar ist.
»Ich dachte mir, es könnte Chandresh guttun, sich mit einem Projekt zu beschäftigen«, erklärt Marco. »Da er kaum noch aus dem Haus geht, schien mir die Renovierung des Gartens ein geeigneter Anfang. Möchten Sie sehen, wie er im fertigen Zustand aussieht?«
»Gern. Haben Sie die Pläne hier?«
Zur Antwort macht Marco eine weitschweifende Handbewegung.
Die eben noch rohen Steinstapel sind mit einem Mal schöne Bögen und schmucke Wege mit wuchernden Kletterpflanzen und hellen, winzigen Laternen. Rosen hängen von gebogenen Spalieren, zwischen den Blüten und Blättern ist der Nachthimmel sichtbar.
Celia legt die Hand auf die Lippen, um ihr Staunen zu dämpfen. Die gesamte Szenerie ist verblüffend, vom Duft der Rosen bis zu den Wärme verströmenden Laternen. Sie hört einen Springbrunnen in der Nähe plätschern und geht dem Geräusch über den nunmehr mit Gras bewachsenen Weg nach.
Marco folgt Celia auf ihrem Rundgang durch den Garten.
Der Springbrunnen in der Mitte ergießt sich über eine gemeißelte Steinmauer und fällt in einen runden Teich voller japanischer Zierkarpfen. Ihre Schuppen schimmern im Mondschein, leuchtend weiße und orangefarbene Tupfer im dunklen Wasser.
Celia lässt das Wasser über ihre Finger laufen und drückt die Hand an den kalten Stein.
»Sie machen das in meinem Kopf, oder?«, fragt sie, als sie Marco hinter sich hört.
»Sie lassen es zu«, antwortet er.
»Ich könnte es wahrscheinlich stoppen, das wissen Sie«, sagt Celia und dreht sich zu ihm um. Er lehnt an einem Steinbogen und mustert sie.
»Ja, bestimmt. Wenn Sie sich auch nur ein bisschen dagegen sträuben, würde es nicht so gut funktionieren, und es kann fast gänzlich blockiert werden. Und natürlich ist Nähe ausschlaggebend für das Eindringen in den Kopf.«
»Mit dem Zirkus können Sie das nicht machen«, sagt Celia.
Marco zuckt die Schultern.
»Leider ist die Entfernung zu groß«, sagt er. »Eigentlich ist das eine meiner Spezialitäten, aber ich habe nur selten Gelegenheit, sie anzuwenden. Ich beherrsche diese Form der Sinnestäuschung lediglich so weit, dass sie immer nur von einer einzelnen Person wahrgenommen werden kann.«
»Wie beeindruckend«, sagt Celia und betrachtet die zu ihren Füßen schwimmenden Karpfen. »Etwas so Kompliziertes könnte ich nie bewerkstelligen, dabei nennt man mich die Zauberkünstlerin. Eigentlich gebührt dieser Titel Ihnen.«
»Ich nehme an, ›Die schöne Frau, die ihre Umgebung mit ihrem Verstand beeinflussen kann‹ ist zu sperrig.«
»Vermutlich würde das auch nicht auf das Schild an meinem Zelt passen.«
Marco lacht leise, und Celia wendet sich, um ihre Freude zu verbergen, wieder dem wirbelnden Wasser zu.
»Eine meiner Spezialitäten kann ich auch nicht anwenden«, sagt sie. »Ich kann sehr gut Stoffe manipulieren, aber angesichts Mme. Padvas Talent erscheint mir das recht überflüssig.« Sie dreht sich im Kreis und leuchtet so hell wie die Laternen, deren Licht sich in ihrem silberfarbenen Kleid fängt.
»Für mich ist sie eine Hexe«, sagt Marco. »Und das meine ich durchaus als Kompliment.«
»Ich glaube, sie würde das auch so verstehen«, erwidert Celia. »Und Sie sehen den Garten, den Springbrunnen, das alles hier genau wie ich?«
»Mehr oder weniger. Je näher ich dem Betrachter bin, umso feiner sind die Nuancen.«
Celia geht um den Teich herum auf die andere Seite zu Marco. Prüfend betrachtet sie die im Stein eingemeißelten Bilder und die darum rankenden Pflanzen, doch ihre Augen irren immer wieder ab zu Marco, dem dies nicht verborgen bleibt. Mit jedem Mal, bei dem ihre Blicke sich treffen, wird es schwerer, wieder wegzusehen.
»Es war klug von Ihnen, das Feuer als Stimulus zu benutzen«, sagt sie, darum bemüht, sich auf die winzigen leuchtenden Laternen zu konzentrieren.
»Es überrascht mich nicht, dass Sie das herausgefunden haben«, sagt Marco. »Da ich nicht mit dem Zirkus reisen darf, musste ich mir etwas ausdenken, um in Verbindung zu bleiben. Die Beleuchtung schien mir eine ideale Möglichkeit, einen dauerhaften Halt herzustellen. Schließlich wollte ich nicht, dass Sie zu viel Kontrolle haben.«
»Das hatte Auswirkungen«, sagt Celia.
»Wie meinen Sie
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