Der Nachtzirkus
Wirkung, die er ausübt. Es ist, als wandelte man in einem Traum. Als wäre man ganz woanders und nicht nur in einem anderen Zelt. Vielleicht mag ich auch einfach Schnee. Wie sind Sie darauf gekommen?«
Marco muss eine Weile überlegen, denn nach dem Ursprung seiner Ideen wurde er bisher noch nie gefragt.
»Ich dachte, ein Wintergarten könnte ganz interessant sein, aber dazu musste ich natürlich auf Farben verzichten«, sagt er. »Ich habe viele Möglichkeiten erwogen, bevor ich beschloss, alles aus Eis zu machen. Es freut mich, dass Sie ihn wie einen Traum empfinden, denn daraus ist die Idee eigentlich entstanden.«
»Genau darum habe ich auch den Wunschbaum gemacht«, sagt Celia. »Ich dachte mir, ein mit Lichtern bestückter Baum wäre ein schöner Gegensatz zu Eisbäumen.«
Marco versucht sich an seine erste Reaktion auf den Wunschbaum zu erinnern. Eine Mischung aus Verärgerung und Staunen und Bedauern, die er jetzt nicht mehr so empfindet. Er war sogar unsicher, ob er eine eigene Kerze anzünden, einen eigenen Wunsch hegen dürfe oder ob er damit gegen die Regeln verstoßen würde.
»Gehen alle Wünsche in Erfüllung?«, fragt Marco.
»Ich weiß nicht«, erwidert Celia. »Ich konnte es nicht bei allen nachverfolgen, die sich etwas gewünscht haben. Gehören Sie auch dazu?«
»Vielleicht.«
»Ist Ihr Wunsch in Erfüllung gegangen?«
»Ich bin mir noch nicht ganz sicher.«
»Sie müssen mir Bescheid geben«, sagt Celia. »Ich hoffe, er geht in Erfüllung. Ich glaube nämlich fast, ich habe den Wunschbaum für Sie gemacht.«
»Damals wussten Sie noch gar nicht, wer ich bin«, sagt Marco, dreht sich zu ihr und sieht sie an. Sie betrachtet weiter den Lüster, aber ihr verführerisches, geheimnisvolles Lächeln ist wieder zurückgekehrt.
»Ihren Namen wusste ich nicht, aber ich hatte einen Eindruck von meinem Gegner, denn ich war ja von Dingen umgeben, die Sie gemacht haben. Ich dachte mir, er könnte Ihnen gefallen.«
»Er gefällt mir auch«, sagt Marco.
Ein angenehmes Schweigen senkt sich über sie. Marco würde sie nur zu gern berühren, aber er widersteht der Versuchung aus Angst, er könnte die zarte Freundschaft zerstören, die gerade entsteht. Stattdessen betrachtet er verstohlen das Licht auf ihrer Haut und ertappt sie mehrmals, wie sie ihrerseits zu ihm hinsieht. Wenn ihre Blicke sich treffen, verschlägt es ihnen den Atem.
»Wie gelingt es Ihnen, sie vor dem Altern zu bewahren?«, fragt Celia nach einer Weile.
»Ich gehe äußerst vorsichtig vor«, antwortet Marco. »Und sie altern sehr wohl, wenngleich extrem langsam. Und wie transportieren Sie den Zirkus?«
»Auf einem Zug.«
»Einem Zug?«, fragt Marco ungläubig. »Der ganze Zirkus auf einem einzigen Zug?«
»Es ist ein großer Zug«, sagt Celia. »Und ein magischer«, fügt sie hinzu, und Marco muss lachen.
»Ich gebe zu, Miss Bowen, Sie übertreffen meine Erwartungen.«
»Ich versichere Ihnen, dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit.«
Marco steht auf und steigt wieder auf das Sims neben der Tür.
Celia streckt ihm eine Hand entgegen, und er nimmt sie und hilft ihr hoch. Es ist das erste Mal, dass er ihre bloße Haut berührt.
Die Reaktion in der Luft folgt sofort. Eine plötzliche Energie flirrt durch den Raum, klar und hell. Der Lüster beginnt zu zittern.
Marco spürt ein intensives, inniges Prickeln auf der Haut, das sich von dort, wo seine Hand die ihre berührt, weiter ausdehnt und vertieft.
Nachdem sie ihr Gleichgewicht gefunden hat, entzieht Celia ihm ihre Hand, tritt zurück und lehnt sich an die Wand. Sobald sie ihn loslässt, wird das Gefühl schwächer.
»Tut mir leid«, sagt sie leise und sichtlich außer Atem. »Sie haben mich überrumpelt.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, erwidert Marco, der sie kaum versteht, so sehr dröhnt ihm sein Herzschlag in den Ohren. »Obwohl ich eigentlich nicht weiß, was passiert ist.«
»Auf Energie reagiere ich besonders empfindlich«, sagt Celia. »Leute, die Dinge wie Sie und ich tun, verströmen eine sehr greifbare Art von Energie, und an … an Ihre bin ich noch nicht gewöhnt.«
»Ich hoffe nur, das Gefühl war für Sie ebenso angenehm wie für mich.«
Celia gibt keine Antwort. Und Marco, der am liebsten wieder ihre Hand ergreifen würde, öffnet stattdessen die Tür und führt sie auf der Wendeltreppe zurück nach oben.
*
Auf dem Weg durch den mondhellen Ballsaal hallen ihre Schritte im Gleichklang wider.
»Wie geht es Chandresh?«, fragt Celia – um das
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