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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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zurück, und die Karte dreht sich von allein um. Karokönigin.
    Dann schwebt der gesamte Kartensatz einen Augenblick lang in der Luft, bevor er wieder auf den Tisch fällt und die Karten auf dem roten Filz verstreut daliegen.
    »Auf Gegenstände können Sie besser einwirken als ich«, gibt Marco zu.
    »Ich habe einen Vorteil«, sagt Celia. »Mein Vater nennt es Naturtalent. Es fällt mir schwer, meine Umgebung nicht zu beeinflussen. Als Kind habe ich ständig Dinge zerbrochen.«
    »Wie steht es um Ihren Einfluss auf lebende Wesen?«, fragt Marco.
    »Das hängt von dem betreffenden Wesen ab«, sagt Celia. »Gegenstände sind einfacher. Es hat Jahre gedauert, bis ich auf Lebendiges einwirken konnte. Mit meinen eigenen Vögeln arbeite ich zum Beispiel viel besser als mit irgendwelchen x-beliebigen Straßentauben.«
    »Was könnten Sie mit mir machen?«
    »Ich könnte vielleicht Ihr Haar verändern, oder Ihre Stimme. Mehr geht ohne Ihr volles Wissen und Einverständnis nicht, und sich wirklich einverstanden zu erklären ist schwieriger, als man denkt. Ich kann keine Verletzungen beheben. Mein Einfluss ist eher flüchtiger, oberflächlicher Art. Bei mir vertrauten Menschen ist es einfacher, obwohl es eigentlich nie besonders einfach ist.«
    »Und bei Ihnen selbst?«
    Als Antwort darauf geht Celia zur Wand und holt einen dünnen Dolch mit einem Jadegriff aus dem osmanischen Zeitalter von seinem Partner weg. Sie legt die linke Handfläche auf die Karten, die auf dem Billardtisch verstreut liegen. Dann stößt sie die Klinge mit der Rechten, ohne zu zögern, in ihren Handrücken, durchbohrt Haut und Fleisch und Karten samt dem Filz darunter.
    Marco zuckt zusammen, sagt aber nichts.
    Celia hebelt den Dolch hoch, an dem noch immer ihre Hand und die Pikzwei aufgespießt sind. Blut tropft an ihrem Arm entlang. Sie streckt die Hand aus, dreht sie langsam um und präsentiert sie mit bühnenreifer Geste, um Marco zu zeigen, dass keine Zauberei im Spiel ist.
    Dann zieht sie den Dolch heraus, die blutverschmierte Spielkarte flattert auf den Boden. Die Blutstropfen sickern nach und nach zurück in die Schnittwunde, die zusammenschrumpft, bis nur noch eine klare rote Linie auf der Haut zu sehen ist und dann nichts mehr.
    Sie tippt auf die Karte, und das Blut verflüchtigt sich. Der von der Klinge verursachte Riss ist nicht mehr sichtbar. Die Karte ist jetzt die Herzzwei.
    Marco hebt sie auf und fährt mit den Fingern über die wieder heile Stelle. Dann lässt er sie im Handumdrehen dezent verschwinden. Sie steckt nun wohlbehalten in seiner Tasche.
    »Ich bin froh, dass man uns keine körperliche Auseinandersetzung abverlangt«, sagt er. »Ich glaube, Sie wären im Vorteil.«
    »Mein Vater hat mir früher die Fingerspitzen nacheinander aufgeschnitten, bis ich alle zehn auf einmal heilen konnte«, sagt Celia und hängt den Dolch zurück an die Wand. »So habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, wie sich alles zusammensetzt. Bei einem Fremden könnte ich das nicht.«
    »Ich glaube, Ihr Unterricht war längst nicht so theoretisch wie meiner.«
    »Ich hätte lieber mehr gelesen.«
    »Ich finde es seltsam, dass man uns auf so radikal unterschiedliche Weise auf dieselbe Prüfung vorbereitet hat«, sagt Marco. Er betrachtet erneut Celias Hand, aber sie ist in Ordnung, und nichts weist darauf hin, dass sie eben noch durchbohrt war.
    »Ich nehme an, das ist der Sinn des Ganzen«, sagt sie. »Zwei Denkschulen, die im selben Umfeld aufeinandertreffen.«
    »Ich gestehe«, sagt Marco, »dass sich mir der Sinn des Ganzen selbst nach so langer Zeit nicht erschließt.«
    »Mir auch nicht«, gibt Celia zu. »Es Herausforderung oder Spiel zu nennen ist nicht ganz richtig. Für mich ist es eher eine zweifache Zurschaustellung. Was zeigen Sie mir auf meiner Führung noch?«
    »Möchten Sie etwas sehen, das noch im Entstehen ist?«, fragt Marco. Die Gewissheit, dass Celia den Zirkus als Zurschaustellung begreift, überrascht ihn angenehm, da er für ihn schon seit Jahren nichts Feindseliges mehr hat.
    »Gern«, sagt Celia. »Besonders wenn es sich um das Projekt handelt, von dem Mr Barris während des Essens ständig erzählt hat.«
    »Genau das.«
    Marco geleitet sie durch eine andere Tür aus dem Spielezimmer. Sie durchqueren den Flur und gehen nach hinten in den weitläufigen Ballsaal, an dessen Ende Mondlicht durch die Glastüren scheint.
    *
    Jenseits der Terrasse, wo früher der Garten war, befindet sich jetzt ein tief ausgehobenes Areal mit einer

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