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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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Lirep wachsen sollten, der fortan als fester
    Angestellter des Hauptquartiers bezahlt werden würde, von neuen Motivationskursen für hoch Eingeweihte, die er ausgearbeitet hatte. Er hinterließ uns diese
    Pläne und Aufzeichnungen als Erbe, von dem die Liga noch lange zehrte.
    Zu meiner Überraschung war Jane bei unserem Treffen nicht zugegen. Jason erklärte knapp, sie sei unpässlich. Ted steckte mir augenzwinkernd zu, dass es
    Streit zwischen den beiden gegeben hatte. Es war das erste Mal, dass ich von privaten Unstimmigkeiten zwischen Howard und Jane hörte.
    Wir hatten ein harmonisches, fruchtbares Treffen, bei dem ich wieder einmal meine Zweifel und Selbstvorwürfe vergaß. Für Augenblicke war ich angetan von
    der heiteren Atmosphäre, die in unserem Zirkel herrschte und fühlte mich in ihr geborgen. Außer Jason, Ted und mir waren vier Leute anwesend – Rob Garcia,
    John Campbell mit seiner Frau Dawn und der damalige Präsident des Hauptquartiers, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere, weil er wie die meisten
    seiner Vorgänger seine Position nur kurze Zeit bekleidete.
    Für den folgenden Tag waren weitere hohe Liga-Funktionäre geladen, mit denen Einzelheiten für die Vorbereitung des Hauptseminars abgesprochen werden
    sollten. Nach den geschäftlichen Besprechungen aßen wir mit Jason zu Abend. Er schien sich in diesem engsten Kreis der Liga wohlzufühlen wie in einer
    Familie. Er vermochte die unnahbare Aura des Mahaguru auch in unserem intimen Zirkel nie ganz abzulegen, doch sah ich ihn nie dem normalen Menschsein näher
    als bei solchen halbprivaten Anlässen. Wir speisten in einem gesonderten, für uns reservierten Raum des Hotels und blieben nach dem Essen plaudernd
    zusammen. Nur Dawn, eine introvertierte Schönheit, die tiefsinnige Gedichte und Kurzgeschichten für die Liga-Publikationen verfasste und deren erster
    Roman, der den spirituellen Werdegang Jasons legendenhaft verklärte, in Kürze im Liga-Verlag erscheinen sollte, zog sich bald auf ihr Zimmer zurück. Sie
    hatte sich kaum an unseren Gesprächen beteiligt. Dawn war mit der Aufgabe betraut, die kreativen Künste in der Liga zu koordinieren und das künstlerische
    Programm für die Hauptseminare zusammenzustellen. Sie hatte ein Pamphlet über die Kunst des Hju verfasst, das unter Jasons Namen veröffentlicht wurde, um
    dem Text Geltung zu verschaffen. Darin hieß es, die Liga werde auch die entarteten, dekadenten Künste der Moderne spiritualisieren. John wurde beneidet um
    diese ungewöhnlich schöne, interessante Frau, die manchmal bei unseren Treffen zu Gast war. Dawn entschuldigte sich mit Kopfschmerzen und verließ uns,
    während Jason gerade Anekdoten seiner spirituellen Ausbildung unter Avatar Yortam zum besten gab.
    Nicht lange danach verabschiedete sich Jason. Wir anderen blieben beisammen. Nach ungefähr einer weiteren Stunde wurde John ans Telefon gerufen. Mein Blick
    fiel zufällig auf ihn, als er den Hörer nahm, sich meldete, einige erregte Worte sagte, den Hörer auf die Gabel warf und zum Aufzug rannte. Ohne zu denken,
    sprang ich auf und folgte ihm. Die anderen lachten gerade über einen Witz, den Ted gerissen hatte. Ich huschte knapp hinter John in den Lift.
    „Was ist los?“
    „Es ist etwas mit Jason. Dawn hat angerufen. Sie ist außer sich.“
    Der Lift schien eine Ewigkeit lang ins zwölfte Stockwerk hinaufzugleiten.
    Jasons Tür war nur angelehnt. In der Mitte des Raumes stand Dawn, in Tränen aufgelöst, bleich wie eine Tote, am ganzen Körper zitternd. Mit gefrorenem
    Entsetzen starrte sie uns an, als könne sie nicht glauben, dass wir durch diese Türe hereinkamen. Jason lag auf dem Bett, nackt, in eigenartiger
    Verrenkung. John sprach ihn an, fasste seinen Puls, untersuchte ihn. In seiner Angespanntheit schien er seine Frau nicht zu bemerken. Dawn trug Pumps mit
    himmelhohen Absätzen, Netzstrümpfe und ein Lackkorsett mit langen Strapsen, alles in schreiendem Rot. Der Kimono, den sie übergeworfen hatte, betonte ihre
    Kostümierung mehr als er sie verbarg. Die feenhafte Künstlerin, der unnahbare Engel, der stets in weißen Kleidern erschien, Blumen und Bänder im Haar, im
    Aufzug einer Hure.
    „Er ist tot,“ sagte John. Er tauchte aus seiner Anspannung auf, sah sich im Zimmer um. Fassungslos starrte er seine Frau an. Sein Gesicht verzog sich vor
    Ekel.
    „Er war so einsam,“ begann Dawn zu stammeln. Ihr Kimono rutschte herunter und gab zierliche, elfenbeinfarbene Schultern frei. „Er war so

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