Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
sein Hemd am Körper kleben, wischte verstohlen seine Stirn.
„Das strengste Gesetz des Schweigens ruht auf diesem Namen. Wenn du es verletzt, wird dich die Strafe des Hju treffen. Hast du das verstanden?“
Aron nickte. Er konnte sich nicht erklären, warum der Mahaguru ihm dieses hohe Vertrauen schenkte.
Der Mahaguru beugte sich nach vorne und flüsterte: „Nokam. Die Hüter der wahren Macht. Nokam. Die Beherrscher der Elemente. Nokam. Die Herren des
Universums. Wer diesen Namen kennt, ist von ihnen erwählt, ist ihr reines Instrument. Er wird die Große Einweihung erhalten.“
Der Klang dieses Namens schien Aron vertraut. Er sann ihm nach. Wieder glitt er träumend über die Ufer der Zeit, sank in die Augen des Mahaguru, die ihn
unverwandt anstarrten, sah in ihnen die Augen des Alten, der damals sein Lehrer und Vertrauter gewesen war, erschaute zugleich die steinerne Maske der
Macht, die er in seinem Traum auf Bali gesehen. Alles floss ineinander, schien auf seltsame Weise klar und selbstverständlich, obwohl Aron keinen Gedanken
spürte in den gläsernen Weiten seines Kopfes. Nokam. Er wiederholte den geheimen Namen in sich und fühlte eine Kraft, die er zuvor nicht gekannt, eine kalt
brennende Macht, die aus diesen Silben zu wachsen schien, eine Macht, die verflochten war mit den Bildern seiner Träume und Ahnungen entfernter alter Leben
jenseits der Brücke, auf der anderen Seite der glühenden Schlucht. In jenen nächtlichen Bereichen, so wusste er nun, lag das Reich der Nokam, dorthin
hatten sie sich zurückgezogen, dort befand sich der Sitz ihrer Macht.
Der Mahaguru nickte bedächtig. Er schien die inneren Bewegungen des jungen Atma mitzufühlen, schien ganz selbstverständlich in seinen Gedanken zu wohnen.
„Ja, Aron, die wahre Macht liegt jenseits der Brücke, aber nur wenige sind erwählt, den schmalen Steg zu überschreiten und zu den Uralten zu gelangen, die
dort seit undenklichen Zeiten warten, bis die Stunde ihrer triumphalen Wiederkehr naht. Aber höre mich weiter an. Die Nokam waren die Herren des Goldenen
Zeitalters dieser Erde, doch der Kontinent Mu versank, der eine Hochkultur getragen hatte, die weit älter war als die von Atlan. Die Namaii, böse Magier
von Mu, hatten durch den Missbrauch des Hju die Vernichtung dieses Paradieses und den Tod von Millionen von Menschen verschuldet. Die Nokam hatten dies
lange vorausgesehen und sich auf Atlan niedergelassen, wo eine neue Hochkultur erblühen sollte. Aber viele Namaii entgingen der Katastrophe von Mu und
flohen nach Atlan, wo sie hoch in den Bergen des Nordens eine gläserne Stadt erbauten und die Stämme des Inselkontinents versklavten. Mit den Fremden kam
das Böse nach Atlan und es verdunkelte die Herzen der Menschen. Die Namaii schützten ihre Kristallstadt durch vergiftete Magie. Sie verfolgten die
eigentlichen Herren von Atlan, die Nokam, und wollten sie ausrotten, denn das unterdrückte Volk von Atlan wandte sich an die Nokam um Hilfe und Schutz vor
den fremden Eroberern. Doch die Nokam scheuten sich, die unermessliche Macht, die ihnen zu Gebote stand, zum Kampf um die Vorherrschaft über ein weltliches
Reich zu missbrauchen. So übten sie sich in Geduld und zogen sich zurück in die unzugänglichen Wüsten des Südens, um auf ihre Stunde zu warten. Die Namaii
aber verdarben das heilige Hju für ihre Zwecke. Lüge, Gier, Niedertracht begannen auf dem Kontinent zu regieren, Kriege, Machtkämpfe und die Anbetung
falscher Götzen. Als die Ausbeutung des Reiches durch die Namaii unerträglich wurde, als der Kult falscher Götter das Volk immer tiefer in den Morast der
Entartung drückte, als immer mehr Menschen um Rettung flehten und sich nach einem wahren Weg der Erleuchtung sehnten, wie das auch in unserer Welt und
unserer Zeit der Fall ist, beschlossen die Nokam, dem Wüten des Bösen Einhalt zu gebieten. Ein Gott des frühen Atlan, der den Menschen seit Urzeiten heilig
gewesen war, von den Namaii aber verfolgt und unterdrückt wurde, stieg auf zum Sinnbild und Träger der wahren Macht. Be’el war sein Name. Sein Attribut war
das läuternde Feuer, das alle Lüge und Verderbtheit verbrennt und aus dem grobem Erz ungeläuterten Geistes das schimmernde Metall der Wahrheit schmilzt.
Begeistert wandten sich die Menschen dem Be’el zu, denn er verkörperte all ihre Hoffnungen. Selbst die Khaïla, die erhabene Muttergöttin des alten Atlan,
die schon von den Urstämmen des Kontinents verehrt worden war, suchte
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