Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
mir,“ sagte der Mahaguru. „Kaum ein anderer würde es wagen, solche Dinge vor dem Mahaguru auszusprechen. Die meisten,
die zu mir kommen, versuchen nur, mir zu schmeicheln, um sich Vorteile zu verschaffen. Doch sei gewiss, dass der Mahaguru um alles weiß, was in der Liga
geschieht, dass er ins Herz eines jeden Atma zu blicken vermag.“
„Aber warum werden Menschen in der Führerschaft geduldet, die nicht zum Wohle der Liga wirken, sondern nur ihre eigene Macht vor Augen haben?“ sprudelte
Aron heraus, da er spürte, dass der Mahaguru ihn verstand.
Im nächsten Augenblick bereute Aron seine voreiligen Worte, denn der Mahaguru fragte ihn: „Nenne mir einen solchen, Aron.“
Aron biss sich auf die Lippen. Er dachte an seine Begegnungen mit Crapp, doch er wagte nicht, den Namen des Lirep auszusprechen.
„Du meinst Peter Crapp, nicht wahr?“, sagte der Mahaguru. „Peter Crapp, der vom Hauptquartier geschickt wurde, um mit eisernem Besen in Deutschland zu
kehren, um die Spiritualisierung der Liga in Europa voranzutreiben.“
Aron starrte betroffen zu Boden und nickte kurz.
„Persönlichkeiten gelten nichts im Licht des Hju, kein Peter Crapp und kein Aron Endres. Es zählt nur, in welchem Maße sie den uralten Adepten nutzen. Der
Peter Crapp, von dem du sprichst, ist in seinem menschlichen Bewusstsein nur ein Schaf, das gelernt hat, lauter zu blöken als die anderen, ein vermessenes,
selbstgerechtes Schaf, das glaubt, Macht zu besitzen, weil es sich in der Herde ein Stück weit nach vorne gedrängt hat.“
Das glucksende Lachen des Mahaguru ertönte wieder.
„Aber Lirep Crapp… Ist er nicht ein Kandidat für die höchsten Einweihungen...“
„Peter Crapp ist der Liga nützlich. Seine Persönlichkeit mag durchdrungen sein von Machtgier und Geltungsbedürfnis, doch selbst durch diese Schwächen dient
er dem Hju. Er ist dem Mahaguru treu ergeben. Daher werden ihm seine menschlichen Fehler nachgesehen. Auch du hast Schwächen, Aron. Zweifel und
Unentschlossenheit zerreißen dich, du hast dich negativen Einflüssen geöffnet und es muss sich erst zeigen, ob du dem Mahaguru wirklich von Nutzen bist.
Crapp sah die Brücke der Nokam. Auch auf ihm ruht der prüfende Blick der höchsten Adepten. Auch er diente den Nokam schon in Zeiten von Atlan. Er stand im
Sold deines Kaufmannshauses als ehrgeiziger Krieger. Er diente dem Be’el besser und aufrichtiger als du, bevor er im Kampf für die heilige Flamme
erschlagen wurde von einem Feind und Verräter am Be’el. Auch euer persönliches Schicksal ist verflochten, doch das ist unwichtig. Allein die Hingabe an die
Macht der Nokam zählt. Wer erwählt wurde, den Nokam zu dienen, hat zwei Möglichkeiten – entweder er erfüllt seine Aufgabe oder er stürzt hinab in den
Abgrund der Vernichtung. Dies gilt für Crapp und dies gilt für dich.“
„Doch Crapp missbraucht seine Macht,“ ereiferte sich Aron, „er schadet der Liga. Er fördert die Mittelmäßigen, jene, die seiner Position niemals gefährlich
werden können, die anderen aber, die Begabten, die Engagierten, die Ehrgeizigen, mindert er herab. Er verbaut ihre Wege, verdrängt sie aus den Zentren,
hintertreibt ihre Aktivitäten, verleumdet sie im Hauptquartier. Er hat viele zu Fall gebracht durch seinen Einfluss.“
„Es wird immer Sieger und Verlierer geben. Die Starken werden stärker durch die Mühen, die ihnen auferlegt sind, die Schwachen aber werden abfallen wie
welkes Laub. Manche von denen, die unter Intrigen und Ungerechtigkeiten leiden, die heute ausgestoßen scheinen und zurückgesetzt auf ihrem Weg zur
Erleuchtung, sind Kandidaten für die hohen Einweihungen. Die Härten, denen sie begegnen, sind Prüfungen. Manche von ihnen werden diese Tests bestehen,
andere werden fallen. Die Starken werden von den Schwachen geschieden, die Aufrechten von den Gebeugten. Eine gnadenlose Auslese. Selbst die Mitglieder der
innersten Kreise der Liga sind nur ergebene Diener des einen Willens. Sie besitzen keine wirkliche Macht. Die Autoritäten, vor denen sich die Atmas
ehrfürchtig neigen, sind austauschbare Werkzeuge der Nokam. Die Liga mit ihrer Hierarchie, mit ihren Rängen und Einweihungen ist ein Nichts vor der Macht
der Nokam.“
Aron war erschrocken über die Offenheit, mit der der Mahaguru zu ihm sprach. Aber waren das nicht seine eigenen Gedanken, die ihm in den letzten Wochen
durch den Kopf gegangen waren, war das nicht die Antwort, die er lange gesucht hatte, eine
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