Irische Hochzeit
1. KAPITEL
England, 1170
Jede Frau denkt doch an ihrem Hochzeitstag daran, ein Pferd zu stehlen und auf und davon zu gehen, oder nicht?
Isabel de Godred kämpfte gegen die aufsteigende Unruhe an. Es war ihre Pflicht, ihrem Vater zu gehorchen. Das begriff sie, obwohl sie ihre rote seidene Tunika umklammerte und zu den Ställen hinübersah.
Im Herzen wusste sie, dass eine Flucht zwecklos war. Selbst wenn es ihr gelänge, das Anwesen zu verlassen, würde ihr Vater ihr doch eine ganze Armee hinterherschicken. Edwin de Godred war nicht gerade für seinen Großmut bekannt. Alles hatte zu geschehen wie er es befahl, und wehe jedem, der seine Anordnungen nicht befolgte.
Vielleicht ist diese Heirat gar nicht so schlecht, meldete sich in Isabel die Stimme der Vernunft. Vielleicht war ihr Verlobter ein liebenswürdiger, gut aussehender Mann, der ihr die Freiheit ließe, seinen Haushalt nach ihrem Gutdünken zu führen.
Isabel schloss die Augen. Nein, das war höchst unwahrscheinlich. Wenn dem so wäre, hätte ihr Vater diesen Freier vor ihr aufmarschieren lassen und mit dieser Heirat geprahlt. Sie wusste vom irischen Erbe ihres Bräutigams und kannte seinen Rang. Sonst wusste sie kaum etwas über ihn.
„Seid Ihr fertig, Mylady?“, fragte ihre Zofe Clair. Mit verschwörerischem Lächeln fügte sie hinzu: „Glaubt Ihr, dass er hübsch ist?“
„Nein, hübsch wird er bestimmt nicht sein.“ Alt und zahnlos, so würde der Mann aussehen. Furcht stieg in Isabel auf. Ihre Schritte wurden bleischwer. Ihr überstürzter Fluchtplan erschien immer verlockender.
„Aber sicher …“
Isabel schüttelte den Kopf. „Clair, noch nicht einmal bei der Verlobung ließ Vater mich den Mann sehen. Wahrscheinlich ist er ein halber Teufel.“
Ihre Zofe bekreuzigte sich stirnrunzelnd. „Ich hörte, er sei einer der irischen Könige. Da muss er unvorstellbar reich sein.“
„Er ist nicht der Hochkönig.“ Gott sei Dank. Vielleicht würde sie über einen Stamm zu herrschen haben. Aber es erwartete sie wenigstens nicht die Bürde, ein ganzes Land zu regieren. Während sie über die Holztreppe an der Außenmauer des Burgturms hinunterschritten, fragte sich Isabel, wie es ihrem Vater nur gelungen war, in so kurzer Zeit eine Verlobung zu arrangieren. Erst seit letztem Sommer unterstützte er den Feldzug des Earl of Pembroke.
„Wie gerne wäre ich an Eurer Stelle“, meinte Clair mit träumerischem Lächeln.
„Und wie gerne würde ich dir den Mann schenken.“ Leider war das nicht möglich.
In Isabels Vorstellung wurde ihr Bräutigam zu einem Monster. Der Mensch musste unerträglich sein, wenn er solch ein Geheimnis aus sich machte. Eigentlich wusste sie, dass es ungerecht war, ein Urteil zu fällen, bevor sie ihren Zukünftigen getroffen hatte. Doch sie konnte nicht anders, als sich das Schlimmste vorzustellen.
„Ihr werdet Herrin Eures eigenen Königreiches sein“, seufzte Clair. „Stellt Euch das nur vor! Ihr werdet Königin.“
„Vermutlich.“ Das vergrößerte nur noch ihre Angst vor der bevorstehenden Hochzeit. Was wusste sie schon darüber, wie sich eine Königin zu benehmen hatte? Sie wusste lediglich, wie man einen Besitz umsichtig verwaltete. Das war aber auch schon alles.
Vor der Kapelle erwartete ihr Vater Edwin de Godred, Lord Thornwyck, sie inmitten einer kleinen Schar von Gästen und Dienern. Er war groß und schlank mit sorgfältig gepflegtem, bereits ergrautem Bart und Schnurrbart. Prüfend musterte er sie, und Isabel kam sich vor wie eine Stute, die verkauft werden sollte. Sie widerstand dem Bedürfnis, die Zähne zu blecken, damit die auch geprüft werden konnten.
Nein, es fiel ihr nicht schwer, diesen Ort zu verlassen. Doch was konnte sie von einem irischen König erwarten? War er freundlich? Grausam? Sie wurde immer unruhiger.
„Ist er hier?“,fragte sie ihren Vater und betrachtete die Männer, welche vor der Kirche warteten.
Edwin nahm ihre kalten Finger und hielt sie mit festem Griff, während er sie in die Kirche geleitete. „Du wirst ihn früh genug treffen. Vor wenigen Stunden haben meine Männer seinen Tross erspäht.“
„Ich hätte ihn lieber bei unserer Verlobung kennengelernt“, murmelte Isabel. Statt einer Antwort brummte ihr Vater nur unwillig.
Isabel erschauerte. Bevor sie den Mann nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, würde sie ihre Fluchtpläne jedenfalls nicht aufgeben. Mit jedem Schritt fühlte sie sich verlorener. Ihre Schwestern waren nicht hier, um ihr eine Stütze zu sein.
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