Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Plätzen hochgesprungen, doch nach
dieser impulsiven Bewegung waren sie erstarrt. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Attentäter von Sicherheitsleuten weggeschleppt wurde. Er wehrte sich
nicht, hing nach vorne gebeugt schlaff in ihrem Griff, willenlos wie ein Schlafwandler, auch er eingesunken in die Erstarrung, die alle gepackt hatte. Ein
Sicherheitsmann sprach zu den Menschen im Saal. „Bitte bleiben Sie ruhig. Es ist alles unter Kontrolle. Es besteht keine Gefahr.“ Es war unnötig, dass er
sprach, denn die Atmas blieben stehen wie gefroren und starrten auf die Bühne. Stimmengemurmel erhob sich, einzelne Schreie, wie Versuche einer Befreiung,
aber auch sie vermochten die erdrückende Glocke nicht zu sprengen. Ich spürte diese Lähmung körperhaft, als ich auf der Bühne kniete. Sie drückte mich
nieder, beengte meine Brust, eine gewaltige stumme Kraft, die über den Menschen ausgebreitet lag wie ein Himmel aus Blei.
John trug trotz seiner Verletzung zusammen mit Panetta den Mahaguru von der Bühne. Ich achtete nicht darauf. Die Kraft lähmte mich, zugleich nahm ich nach
wie vor alles mit geschärften Sinnen wahr. Äußerlich funktionierte ich wie ein Roboter, half einem Sicherheitsmann, Teds Leiche in die Kulisse zu
schleppen. Wir legten meinen toten Freund nieder. Der Sicherheitsmann rannte zum Bühnenausgang. Ein anderer schrie aufgeregt in ein rauschendes
Sprechgerät. Irgendwo gellten Sirenen.
Alles geschah in wenigen Augenblicken, in hektischer Geschwindigkeit und doch schien es getragen von tiefer Ruhe. Ich kauerte neben Ted nieder. Es schien
mir, als hätte ich alle Zeit der Welt, das Gesicht meines toten Freundes zu betrachten, nur zu schauen, ohne einen Gedanken zu denken, nur dieses fahle,
blutbespritzte Gesicht, auf dem eine Spur von Schrecken und Verwunderung geblieben war, in meine Erinnerung zu prägen. Ich schaute in konzentrierter
Achtsamkeit, die keine andere Wahrnehmung, keinen Gedanken, kein Gefühl zuließ. Ich fühlte keine Trauer, keinen Schmerz, keine Panik, kein Erschrecken. Ich
war leer von allen Empfindungen und in dieser Leere dehnten sich die Momente zu Ewigkeiten.
Auf einmal aber wurde die fremde Macht, die ich vorhin gespürt hatte, stärker und füllte das Vakuum meines Geistes auf. Dumpfes Summen brandete auf. Die
Atmas draußen in der Arena sangen das Hju. In ihrer Verzweiflung hatten ein paar Lireps das Liga-Mantra zu singen begonnen. Wie ein Lauffeuer hatte es sich
über die Halle ausgebreitet. „Das Wunder des Hju“ wurde dieser spontane, inbrünstige Gesang später von den Atmas genannt, das Wunder des Hju, das den
Mahaguru heilte. Die neun höchsten Adepten seien plötzlich in ihren Lichtkörpern auf der Bühne erschienen, berichteten später Liga-Pioniere. Andere hatten
strahlende Lichter gesehen und wieder andere Wirbel konzentrierter Energie. Mein Kopf drohte zu platzen. Der Klang der Finsternis wuchs zu solcher Stärke,
dass ich glaubte, ich würde in Stücke gerissen.
Ich wendete meinen Blick von meinem toten Freund ab und schaute zu Ken. John und Panetta knieten bei ihm. Noch während ich den Kopf drehte, sah ich, wie
eine starke Erschütterung Kens Körper packte, wie rasende Energie in die leblose Hülle fuhr und sie aufbäumen machte. Seine Hand schlug in einer jähen
Bewegung nach John. John schrie auf. Im gleichen Augenblick stürzten Sicherheitsleute mit Polizisten und Sanitätern herein. Ich nahm es nur aus den
Augenwinkeln wahr, denn meine Aufmerksamkeit war von dem sich krümmenden und windenden Körper Kens gefangen. Auf einmal öffnete Ken die Augen. Einen Moment
nur blickte ich in sie, bevor die Sanitäter ihn umringten. Den Bruchteil einer Sekunde nur sah ich diese Hass sprühenden Augen, die nicht mehr Kens Augen
waren und die mich mit solchem Schrecken erfüllten, dass mir schwindlig wurde, dass ich erst wieder zu mir kam, als einer der Notärzte mich bei der
Schulter nahm.
„Sind Sie verletzt?“
Ich schüttelte den Kopf, mechanisch wie ein Automat.
Ich weiß nicht mehr, wie ich in den Krankenwagen kam, der mit Sirene und Blaulicht durch die Stadt jagte. Ich nahm nur mehr Fetzen und Splitter meiner
Umgebung war. Ich sah, dass John auf einer Trage festgeschnallt war. Er war ohnmächtig geworden. Sein Gesicht war bleich wie das Laken, auf dem er lag. Er
atmet, aber trotzdem ist er tot, dachte ich, ohne dass diese Erkenntnis besondere Regungen in mir hervorrief. Das grelle Licht im Wagen blendete mich. Ich
schloss
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