Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
ihn vermutlich an Gordon Blake weitergereicht und von Gordon war er auf Ken
übergegangen. Vermutlich hatten sich in der Zwischenzeit irgendwelche Mythen um den Stein gebildet, vielleicht galt er als Symbol der Macht der Mahagurus.
Warum sonst hätte Ken ihn selbst bei einem Seminar bei sich getragen wie einen Talisman? Aber mir blieb nicht die Zeit, über die schwarze Steintafel mit
der keilschriftartigen Inschrift nachzudenken, die jetzt, da ich dies niederschreibe, vor mir auf dem Tisch liegt, dunkel schimmernd im Schein meiner
Lampe.
Ich nahm mir Johns Rat zu Herzen. Unmittelbar nach unserem Abschied verließ ich das Krankenhaus, ohne mich bei irgendjemandem abzumelden, sprang in ein
Taxi, nahm unter falschem Namen ein Zimmer in einem Hotel in der Nähe des Flughafens. Johns Worte hatten meine Angst ins Unerträgliche gesteigert. Jedes
Geräusch im Gebäude ließ mich zusammenzucken. In jedem Auto, das auf der Straße vorbeifuhr, vermutete ich Killer, die im Auftrag Panettas nach mir suchten.
Ich lag schlaflos auf meinem Bett, mühsam ein Zittern unterdrückend, mit hektisch schlagendem Herzen, erdrückt von den Bildern der vergangenen Stunden.
Wenn ich die Lider schloss, sah ich Kens Blick und glaubte, diese schrecklichen Augen suchten nach mir, wollten Verbindung zu mir aufnehmen. Ich dachte an
das Hju. Das Mantra der Liga drängte sich in meinen Verstand. Als ich seinen schwebenden Klang in mir fühlte, war mir, als hätten mich Kens Augen einen
Moment lang aufgespürt. „Das Hju ist das geistige Band, das jeden einzelnen Atma direkt mit dem Mahaguru verbindet,“ heißt es im
Buch der Erleuchtung
. Welch schreckliche Wahrheit! Ich drängte das Hju aus meiner Aufmerksamkeit, dachte an Ted, an John, an meine Jacht, an
Frauen, mit denen ich in letzter Zeit zusammen gewesen war, an alles, das mich vom Hju und von Kens Augen ablenkte. Meine innere Klarheit war einer
Überreizung gewichen, die schmerzhaft den Körper durchpulste. Aber ich konnte noch denken, spielte Details meiner Flucht durch, machte Pläne, verwarf,
verbesserte, setzte Einzelheiten zusammen, beschäftigte unentwegt meinen Geist, um diese schreckliche Nacht, die nicht vergehen wollte, zu überstehen. Am
Morgen rief ich meinen Anwalt an. Er war ein persönlicher Freund, der nichts mit der Liga zu tun hatte, der mich in Vermögensdingen beriet und bei anderen
persönlichen Entscheidungen. Er wusste von meiner Verwicklung mit der Liga nur so viel wie nötig. Wir hatten uns beim Golfen kennengelernt und ich hatte
ihn vor Jahren zu meinem privaten Anwalt gemacht, um einen Bezugspunkt außerhalb der Liga zu haben, um unabhängig zu werden. Es war einer dieser
vergeblichen Versuche gewesen, mich von der Liga zu lösen, die meine Illusion nährten, ich sei im Grunde doch unberührt von allem. Ich nahm die nächste
Maschine nach San Francisco, zahlte mein Ticket bar, checkte unter falschem Namen ein. Ich hatte Angst, erwartete hinter jeder Ecke einen Mörder, sah in
jedem Entgegenkommenden einen Ethik-Hüter. Daniel, mein Anwalt, holte mich am Flughafen ab, brachte mich in sein Haus. Er hatte von dem Attentat in den
Nachrichten gehört. Ich weihte ihn nur in das Nötigste ein, verschwieg, dass Panetta vermutlich hinter allem steckte, dass Ken mausetot gewesen war, bevor
eine dämonische Macht in ihn gefahren war, erwähnte die schrecklichen, kalt brennenden Augen nicht, die mich noch immer anzustarren schienen. Ich bezwang
meine Aufregung, gab mich gelassen und vernünftig.
„Ich will weg,“ sagte ich, „Ted ist tot. Ich will eine Reise machen, sofort, ohne Aufschub. Ich will mit dieser Liga nichts mehr zu tun haben. Niemand soll
wissen, wo ich bin. Du musst meine Geschäfte hier abwickeln. Du wirst der einzige sein, zu dem ich Kontakt halte.“
Daniel verstand ohne viel Worte, beruhigte mich, bot mir an, ich könne eine Weile bei ihm wohnen. Seine Frau Alice sorgte rührend für mich, aber jeder
Augenblick, den ich länger in diesem Land verweilte, machte mich nur unruhiger.
Die Einzelheiten meiner Flucht sind nicht von Bedeutung, auch nicht, wohin ich ging. Daniel verpflichtete sich zu Stillschweigen. Ich sagte selbst ihm
nicht, wohin genau ich reisen wollte, vereinbarte, mich regelmäßig bei ihm zu melden. Je weniger Daniel wusste, desto besser. Panetta würde mit allen
Mitteln versuchen, mich ausfindig zu machen. Mein Tod wäre für die Liga von größtem Nutzen. Nach Teds Tod war ich alleiniger Inhaber der Rechte an
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