Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Hauptseminars der Liga am vergangenen Wochenende verübt wurde. Ligaführer „Mahaguru“ Ken Andersen, dem der Anschlag galt, überlebte das
Attentat.
Die ermittelnden Behörden haben indes die Identität des Attentäters bekannt gegeben. Es handelt sich um den 22jährigen Biologiestudenten Thomas Dunkin. Wie
bereits in der gestrigen Ausgabe berichtet, hat Dunkin noch in der Nacht des Attentats in seiner Zelle Selbstmord begangen. Polizeiberichten zufolge
handelt es sich bei Dunkin um einen psychisch verwirrten Einzeltäter, der bei seiner ersten Vernehmung aussagte, die Stimme eines machtvollen überirdischen
Wesens habe ihm befohlen, Andersen zu töten. Dunkin war erst seit einem Jahr Mitglied der Liga. Studienkollegen berichten, Dunkin sei durch seinen Eintritt
in diese religiöse Gemeinschaft von einem in sich gekehrten, unauffälligen jungen Mann zu einem fanatischen Missionar dieser Gruppierung geworden und habe
sogar erwogen, sein Studium aufzugeben, um sich ganz der Liga widmen zu können. Weiterhin ungeklärt bleibt, wie es Dunkin gelang, trotz verschärfter
Sicherheitsvorkehrungen die Tatwaffe in die Seminarhalle zu bringen und sich einen Platz in der für ausgewählte Liga-Führer reservierten Sektion zu
erschleichen. Ungeklärt bleibt auch, wie es ihm gelang, in seiner Zelle Selbstmord zu begehen. Ein Sprecher der Justizbehörden lehnte bislang jede
Stellungnahme ab.
Kapitel 22
Teestunde
Es gab keine Zweifel mehr in Aron, als er im Flugzeug nach Nepal saß. Sein Geist lag ruhig unter dem ständigen Rollen des Hju. Wann immer ein störender
Gedanke aufsteigen wollte, breitete Aron das Mantra der Nokam darüber, löschte ihn aus, bevor er Fragen und Konflikte aufzuwühlen vermochte. Aron hatte
sich vorgenommen, den Auftrag des Mahaguru ohne Zaudern zu erledigen, gehorsam, ohne Wenn und Aber, diszipliniert, in einem Handstreich, wie es die Liga
von einem Eingeweihten des achten Kreises erwartete. Persönliche Rücksichtnahmen durften keine Rolle spielen. Er war nur dem Hju verpflichtet. Er war nur
ausführendes Instrument für den Willen des Mahaguru. Er galt als persönlicher Gesandter des höchsten Meisters; an ihm lag es, Schaden von der Liga
abzuwenden, die negative Macht, die stets die wahre Lehre bedrohte, niederzuringen, einen Feind der Liga zu entwaffnen.
Immer wieder sagte sich Aron diese Parolen vor. Er war nicht nach Deutschland zurückgekehrt, sondern von Blackwater zu seiner Reise nach Kathmandu
aufgebrochen. Einer der EHs, ein Bevollmächtigter von Patrick Panetta, hatte alles für ihn geregelt, ihm Bargeld, Tickets, Hotelreservierungen besorgt,
eine Kreditkarte auch, die auf ein Konto des Hauptquartiers bezogen war. Er würde auch den deutschen Lirep verständigen, dass Aron ausersehen war, für
einige Zeit dem Hauptquartier zur Verfügung zu stehen, nichts ungewöhnliches im Falle eines solch brillanten Akademieabgängers. Seine Zukunft war
gesichert. Er musste sich nicht mehr um ein Studium oder um eine Berufsausbildung sorgen. Die Liga würde seine Zukunft bestimmen. Man würde Arons
persönliche Habseligkeiten in seinem Zimmer im Wohnheim in Kartons packen und im Keller der Liga-Zentrale lagern, bis er sich bei seinem nächsten
Aufenthalt in Deutschland darum kümmern konnte. Das Zimmer wurde benötigt für neue Akademiestudenten. Arons Nachfolger würde es als Ehre betrachten, den
Raum eines so erfolgreichen, hoch angesehenen Atma zu beziehen. Aron musste lächeln. Nun galt er jüngeren Atmas bereits als Vorbild, dem sie nacheiferten.
Man würde seine steile Karriere – von der Akademie direkt ins Hauptquartier – als Beispiel nennen für die Möglichkeiten, die sich jedem eröffneten, der dem
Willen des Hju gehorchte und die Liga in seinem Leben an erste Stelle rückte. Solche Überlegungen wiesen Aron aber nur auf seine Verpflichtung hin, auf
seinen Auftrag, und jedes Mal, wenn seine Gedanken wieder an diesem Punkt anlangten, spürte er die Kraft des Hju bestimmter in sich, spürte, dass alle
Unsicherheiten in seinem Herzen ausgelöscht waren.
Er nahm sich vor, die Nummer von Walt Mason sofort nach seiner Ankunft anzurufen, doch als das Taxi im stinkenden Verkehrsgewühl stecken blieb, als die
Bilder und Eindrücke Kathmandus auf ihn hereinbrachen, verschob er seinen Plan auf den nächsten Tag. Er ließ seinen Koffer unausgepackt im Hotel, nahm
einen Wagen in die Altstadt und ließ sich ziellos im Strom der Menschen zwischen den Palästen und Pagoden,
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