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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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den Geschäften und Marktständen treiben. Es gab
    kein Liga-Zentrum in Nepal, dachte er, all diese Menschen waren noch unberührt vom Geist des Hju, lebten ihr Leben, beteten ihre Götter und Buddhas an,
    ohne je von der Macht des Mahaguru gehört zu haben. Aron wurde bewusst, dass er seit vielen Jahren zum ersten Mal völlig losgelöst von der Liga war. Hier
    gab es keine Akademie, kein Zentrum, keine Atmas, keine EHs. Der Lirep, der für Nepal verantwortlich war, residierte in Singapur. Die nepalische Regierung
    sträubte sich, öffentliche Werbemaßnahmen der Liga zuzulassen, denn die Liga verfügte in diesem Land zu Füßen des Himalaja nicht über einflussreiche
    Fürsprecher. Für einen Augenblick glaubte Aron, diese Abgetrenntheit wie einen Hauch von Freiheit zu spüren, dann erinnerte er sich, dass er durch das Hju,
    unabhängig von Zeit und Raum, stets mit dem Mahaguru und den Nokam verbunden war, dass keine Trennung möglich war von ihrer allgegenwärtigen Macht. Und
    doch ließ er auch den zweiten Tag verstreichen, ohne die Nummer anzurufen, die Judith ihm in jener Nacht mitgeteilt hatte. Er dachte an Ben, als er wieder
    durch die Straßen streifte, als er in einem Reiseführer, den er an einem Straßenstand kaufte, die Namen der Tempel und Heiligtümer las, die er besichtigte.
    Er versuchte, die Stadt mit den Augen des toten Freundes zu sehen, versuchte sich vorzustellen, wie Ben diese Flut der Bilder aufgenommen, in welche
    poetischen Wendungen er sie gefasst hätte. Bens Tod hielt noch immer eine Wunde offen, einen ungenügend gekitteten Bruch in Arons neu gefundener Sicherheit
    im Hju. Wenn er an Ben dachte, drangen Echos der alten Zweifel in seinen Geist, Ungewissheiten, die sich hier, in dieser fremden Stadt, unter diesen
    Menschen, die gänzlich unberührt waren von der Liga, zu verstärken schienen. Nur durch das disziplinierte Singen des Hju vermochte Aron sie abzuschütteln.
    Ohne Unterlass versuchte Aron sich gewahr zu sein, dass er die Macht des Hju in sich trug, dass sie aus ihm zu all diesen Menschen floss, dass er vom
    Mahaguru ausersehen war, die Große Einweihung zu erhalten, die tiefsten Mysterien der Nokam zu ergründen.
    Am Stupa von Boudhnath sah Aron zum ersten Mal tibetische Mönche, junge Männer in rostroten Roben, die sich fröhlich lachend und plaudernd um einen
    Marktstand drängten, an dem Gebetsfahnen und Räucherwerk verkauft wurden. Ben hatte ihm erzählt, dass die Mönche in tibetischen Klöstern eine
    jahrzehntelange Ausbildung erhielten, gegen die die vier Trimester an der Liga-Akademie Kinderspiel waren. Zugleich hatte er gelernt, dass die Liga allen
    Religionen und spirituellen Wegen des Planeten hoch überlegen, dass allein der Mahaguru fähig war, echte geistige Unterweisungen zu erteilen und auf dem
    Weg zur Erleuchtung zu führen.
    In Pashupatinath, zwischen den Feuern der Scheiterhaufen, sah Aron Yogis am Ufer des Flusses meditieren, ausgemergelte Asketen, regungslos in Versenkung
    verharrend, gelassen den Tod erwartend, der an diesem heiligen Ort zu ihnen kommen würde. Aron starrte sie verständnislos an, voll Ekel vor den brennenden
    Leichen, dem süßlichen Rauch, den ihm der Wind ins Gesicht wehte und doch berührt von eigentümlicher Faszination. Ben hatte einmal darüber gesprochen, dass
    die heiligen Männer Indiens an Verbrennungsstätten und Leichenäckern meditierten, um sich beständig die Vergänglichkeit allen Seins vor Augen zu führen. In
    der Liga wurden solche Praktiken als extrem und unzeitgemäß betrachtet, als unnötig für wahre geistige Entfaltung, die allein das Hju und der Mahaguru in
    einem hingebungsvollen Atma hervorzubringen vermochten. Die Akademiestudenten pflegten sich über die Gebräuche der Religionen lustig zu machen oder sie mit
    arroganter Herablassung als ritualisierte Irrwege abzuwerten. Und doch hatte Ben viel gelesen über andere Religionen, obwohl das in der Liga nicht gerne
    gesehen war. Es gab Schriften zum internen Gebrauch an der Akademie, in denen die Weltreligionen aus Sicht der Liga behandelt wurden, andere Bücher über
    solche Themen waren verpönt. Dies war eines der vielen ungeschriebenen Gesetze, die jeder Atma, der in die höheren Ränge der Einweihungen aufsteigen
    wollte, kannte und befolgte, um die Ben sich aber in den letzten Monaten seines Lebens kaum mehr gekümmert hatte.
    Aron verlor sich in Erinnerungen an Ben, als er, vorbei an Statuen von Buddhas und heiligen Tieren, die Treppe zum Stupa von

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