Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Svayambhunath hinaufstieg. Für
Augenblicke schien ihm, als sei eine Last von seinen Schultern genommen, doch wenn er an das Hju dachte, wenn er das Machtwort der Nokam in sich rollen
ließ, fand er sich jäh zurückgestoßen in den Ernst der Aufgabe, die er im Namen des Mahaguru auszuführen hatte.
Am anderen Morgen überwand er sich und wählte die Nummer. Er durfte seine Pflicht nicht länger vernachlässigen. Er hatte zuvor lange das Hju gesungen, um
Kraft zu sammeln, um sich einzustimmen auf seine Mission. Keinerlei persönliche Regungen und Rücksichten durften ihn beeinträchtigen. Es ging
ausschließlich um das Wohl der Liga. Ein Nepali meldete sich in gebrochenem Englisch. Aron verlangte Walt Mason zu sprechen. Der Nepali schien erst nicht
verstehen zu wollen, murmelte Unverständliches, das wie eine Abweisung klang. Aron musste mehrmals umständlich seinen Namen buchstabieren und die
Telefonnummer seines Hotels nennen, dann legte der Fremde auf. Aron wusste nicht einmal, ob die Nummer die richtige gewesen war, ob man Walt Mason dort
überhaupt kannte. Vielleicht hatte ihm Judith eine falsche Nummer gegeben, vielleicht war auch sie in die Irre geführt worden. Vielleicht hatte Walt Mason
Kathmandu längst wieder verlassen. Aron ging unruhig im Zimmer auf und ab, prüfte mehrmals das Telefon, ob der Hörer richtig aufgelegt war. Er las lange in
einem Wahrheitsbrief von Ken Andersen über den Nutzen systematisch wiederholter Deprogrammierungs-Schulungen, doch er vermochte sich nicht zu
konzentrieren. Gerade als er zur Rezeption hinuntergehen wollte, um nachzufragen, ob jemand angerufen hatte, klingelte der Apparat. Aron erschrak. Bevor er
abhob, vergegenwärtigte er sich, dass Walt die Schuld an Bens Tod trug, dass er ein Feind der Liga war, doch als er die Stimme von Bens Vater hörte, die
gleiche dunkle, ruhige Stimme, die zuerst auf dem Tonband und dann in jener Nacht des Feuertraumes auf Bali zu ihm gesprochen hatte, zerstoben diese
Beschuldigungen, mit denen Aron sich Mut zu machen suchte, im Nichts.
Eine Stunde später saß Aron in der kleinen Wohnung Walts, am Rande der Stadt, in der Nähe des Stupa, den Aron gestern umrundet hatte, verloren im Treiben
seiner eigenen Gedanken.
Walt hatte sich verändert. Aus dem gut aussehenden, weltmännischen Gentleman, den Aron auf Bali kennengelernt hatte, schien ein stiller, etwas wunderlicher
Asket geworden, die Haare kurzgeschoren, das Gesicht abgemagert. Sein weißer Leinenanzug, den er auch in jener Nacht auf Bali getragen, schien um zwei
Nummern zu groß. Er sah seinen Gast lange an mit Augen, in denen milde Resignation glänzte. Er hat Bens Tod nicht verkraftet, dachte Aron. Als er vor Walt
stand, ließ seine forsche Entschlossenheit nach. Er wurde unsicher, lachte verlegen, merkte erschrocken, dass er ein schlechter Lügner war, als er Walt von
Judith erzählte, die ihm die Telefonnummer gegeben hatte, von seinem brennenden Wunsch, endlich die Wahrheit über die Liga zu erfahren, ganz gleich, wie
gefährlich dies sei. Er richtete Grüße aus von Judith, machte Andeutungen über eine Gegenbewegung innerhalb der Liga, der auch er nun angehörte. Aron
redete hastig, mit niedergeschlagenen Augen, die nur manchmal kurz aufschauten, um Walts sanften, traurigen Blick zu finden, der unverwandt auf ihn
gerichtet war. Jetzt erst bemerkte Aron, dass der Raum, in dem Bens Vater lebte, leer war bis auf einige Sitzpolster, einen gerollten Futon, der als Bett
diente, einen niedrigen Lacktisch, auf dem Teeschalen standen.
„Wollen wir nicht erst Tee trinken, bevor wir über solch wichtige Dinge sprechen?“, fragte Walt.
„Entschuldigung,“ erwiderte Aron, „es war unhöflich von mir, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.“
„Als hättest du es eilig,“ ergänzte Walt und lächelte.
Sie ließen sich auf Polstern am Boden nieder.
Während Walt kochendes Wasser aus einem Kessel in die Teekanne füllte und den kleinen Tisch heranrückte, musterte er Aron aufmerksam.
„Du hast dich verändert, Aron,“ sagte er, „ich spüre diese Offenheit nicht mehr, die mir auf Bali so gut an dir gefallen hat.“
Aron errötete. „Ich bin nur aufgeregt, dass ich Sie wiedergefunden habe. Es war nicht leicht für mich, einen Grund für diese Reise zu finden, der im
Liga-Zentrum keinen Verdacht erweckt. Und ich habe in der Tat nicht viel Zeit in Kathmandu,“ log er.
Walt nickte verständnisvoll. „Wir verändern uns alle. Auch ich bin nicht mehr
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