Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
der, den du auf Bali gesehen hast.“
„Ist es Bens Tod gewesen?“ Aron spürte, wie wieder Zuneigung zu diesem Mann in ihm wuchs. Augenblicklich ließ er das Hju im Stillen in sich rollen, um
solche hinderlichen Gefühle abzutöten. Sein Besuch durfte nur dem Zweck dienen, dem Mahaguru das Gelbe Buch zu verschaffen.
„Vielleicht war dies der Auslöser,“ antwortete Walt, „der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Mein altes Leben aber war schon in dem
Augenblick zu Ende, als ich Ted vor meinen Augen sterben sah und später John, und als ich die Flucht ergriff vor der Liga.“
Aron nickte. Sollte Walt nur reden, sich in Erinnerungen und Sentimentalitäten verlieren. Das würde ihn weich machen und bereit, das Gelbe Buch
herauszugeben.
„Als ich aus Amerika fortging, glaubte ich, das Leben, das ich gewohnt war, fortsetzen zu können, unter anderen Vorzeichen, doch im gleichen Stil, ein
wenig abenteuerlicher und interessanter sogar als zuvor, gewürzt mit etwas Nervenkitzel und Gefahr. Aber es war mir nicht mehr möglich, in mein gewohntes
Dasein der Ablenkung zurückzufinden. Es ist eigenartig, aber meine Flucht aus den USA war das Ende meiner Flucht vor mir selbst. Ich sah ein, dass ich mich
all die Jahre selbst verleugnet, dass ich ein Leben aus zweiter Hand geführt hatte, dass ich vor den wirklich wichtigen Dingen in allerlei oberflächliche
Vergnügungen geflüchtet war. Erst der plötzliche, radikale, schmerzhafte Bruch mit dieser Vergangenheit machte mir dies bewusst. Es dauerte eine Weile, es
wirklich einzusehen. Ich glaube, dass Bens Tod der Schlag war, der die Reste meiner verlorenen illusionären Welt, die ich aus Gewohnheit wiederherstellen
wollte, für immer zertrümmert hat. So gesehen sind all die schrecklichen Ereignisse von großem Nutzen für mich gewesen. So ähnlich heißt es doch im
Buch der Erleuchtung
, nicht wahr – man lernt aus dem Leiden.“
Walt lachte bitter.
Aron ließ ihn reden, nippte an seiner Teeschale.
„Ich habe mich nie um die Lehre der Liga gekümmert. Ich wusste zwar, dass Jason sie aus allen nur denkbaren Quellen zusammengestohlen hat, aber auch diese
Quellen haben mich nicht interessiert. Religion, Spiritualität, Esoterik, das waren für mich Dinge, mit denen man Geld verdienen kann, viel Geld sogar, die
sonst aber keine weitere Bedeutung besitzen. Wenn man lebt wie ein Gott, ohne Begrenzungen, ohne Mangel, dann hat Religion etwas lächerliches, dann ist sie
bestenfalls Trost und Ablenkung für all die bemitleidenswerten Kreaturen, die es nicht geschafft haben, in solcher Freiheit und Fülle zu leben. Wenn man
selber ein Gott ist, braucht man keine Religion. Mein Freund Ted war anders, er war Fachmann für die übersinnlichen Dinge, obwohl auch er, wie ich heute
weiß, das Eigentliche nicht begriffen hat. Er glaubte, über allem erhaben zu sein, weil er alles darüber wusste. In Wirklichkeit wussten wir beide nichts
über das Eigentliche. Jetzt aber beginne ich es allmählich zu erahnen, vage zu erahnen. Lange nach meiner Flucht ist mir aufgegangen, dass ich nicht
geflohen, sondern angekommen bin. Verstehst du das, Aron?“
„Ich glaube schon.“ Aron saß wie auf Kohlen, suchte nach einer Möglichkeit, das Gespräch auf die Liga zu lenken, auf das Gelbe Buch.
„Ich hätte nie geglaubt,“ fuhr Walt fort, „dass ich mich jemals für spirituelle Dinge interessiere, schon gar nicht, nachdem ich den kriminellen Missbrauch
erleben musste, den die Liga mit ihnen treibt. Aber ich habe eingesehen, dass sie wesentlicher Bestandteil dieses Eigentlichen sind. Ich meine nicht die
Pseudospiritualität der Liga, ich meine authentische Spiritualität.“
„Wie sind Sie dazu gekommen?“, fragte Aron höflich.
„Ich habe mich an ein Gespräch erinnert, das ich vor vielen Jahren mit einem Mann führte, der mit Howard Jason über das Hju gesprochen hatte. Er war beim
zweiten Seminar der Liga unangemeldet bei Jason aufgetaucht und ich begleitete ihn anschließend nach draußen. In unserem beiläufigen Gespräch spürte ich
zum ersten Mal diese authentische Wahrheit aufblitzen. Es ist eine Wahrheit, vor der man völlig nackt steht, vor der alle Lebenslügen versagen, die alles
Verdrängte mit hellem Licht anstrahlt. Es hat mich damals sehr berührt, ohne dass ich wusste, wie mir geschah, aber ich habe diese Rettungsleine, die sich
mir bot, nicht ergriffen. Vielleicht wäre mir viel erspart geblieben, hätte ich es getan. Es sollte
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