Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
verraten und Walt würde ihn jetzt hinausbitten, den Besuch beenden, aber Bens
Vater ging ins Nebenzimmer und kam mit einem ausgebeulten braunen Umschlag zurück.
„Seit Bens Tod habe ich oft daran gedacht, es zu vernichten, aber ich habe es doch bewahrt, weil es für meine toten Freunde geschrieben wurde, weil es eine
Erinnerung ist an Ted und an John, eine Sentimentalität. Doch es soll kein weiteres Unheil anrichten. Du musst mir versprechen, es nur zu lesen, um deinen
eigenen Weg zu klären und um Ben zu verstehen, wie du sagst. Du darfst zu deinem eigenen Schutz zu niemandem davon sprechen, keine Abschriften anfertigen.
Das Gesetz des Schweigens…“
„Ich verspreche es,“ flüsterte Aron, angefüllt mit Gier, das begehrte Objekt endlich in Händen zu halten.
„Und ich möchte dich bitten, mich heute Abend noch einmal zu besuchen,“ sagte Walt, als er sich wieder auf seinem Sitzkissen niederließ und den Umschlag
neben das Teetischchen legte. „Ich möchte mit dir einfach über Ben sprechen. Nicht über die Liga, nicht über meine Flucht, nur über Ben. Ich habe meinen
eigenen Sohn kaum gekannt. Ich will ihn kennenlernen, will ihm neues Leben schenken in meiner Erinnerung. Ich vertraue dir das Gelbe Buch nur an, weil du
Bens Freund bist, weil uns der Schmerz um ihn verbindet wie Blutsverwandte. Du musst mir von ihm berichten. Und du wirst heute Abend den Mann kennenlernen,
von dem ich vorhin gesprochen habe, Dr. Timur Aslan. Auch er ist gerade in Kathmandu. Wirst du kommen?“
Aron nickte. „Gerne!“ Er wagte nicht, Walt anzusehen, aus Angst, er könnte ihm seine Lüge an den Augen ablesen. Wenn das Gelbe Buch in seinen Händen war,
würde er bis zu seinem Rückflug das Hotel nicht mehr verlassen. Er würde Walt später anrufen und für den Abend absagen. Gründe würden sich finden, um Walt
bis zum Abflug hinzuhalten. Er musste sich vorsehen, jetzt keinen Argwohn zu wecken, aber er durfte Walt nicht wiedersehen. Er und dieser Fremde würden
versuchen, neue Zweifel am Hju in sein Herz zu säen. Er musste sein Bewusstsein rein erhalten, musste sich allen negativen Einflüssen entziehen.
„Ich werde ein gutes nepalisches Essen kommen lassen,“ fuhr Walt fort. „Wir werden einfach einen schönen Abend gemeinsam verbringen und über die wirklich
wichtigen Dinge reden. Ich bin sicher, dass du aus Dr. Aslans Gegenwart Nutzen für deinen weiteren Weg ziehen wirst. Es ist von großer Bedeutung, dass du
nicht in ein Vakuum fällst, wenn du die Liga verlässt. Es ist bitter, zu erkennen, dass man viele Jahre lang betrogen wurde. Man läuft Gefahr, von
spirituellen Dingen überhaupt nichts mehr wissen zu wollen, sie über einen Kamm zu scheren und pauschal als Schwindel abzutun. Man vermag nicht mehr zu
vertrauen, weil das arglose Vertrauen so böse missbraucht wurde. Das ist nicht gut. Glaube mir. Ich habe einen Weg gefunden für mich. Dr. Aslan hat mir
dabei geholfen. Er hat mir tiefe Einsichten gewährt in die wahren Zusammenhänge der Liga, nicht in die äußerlichen, die im Gelben Buch stehen, sondern in
innerliche, karmische, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Und er hat mir Verbindungen aufgezeigt in Kathmandu, hat mich mit wirklichen
spirituellen Lehrern bekannt gemacht, die mir völlig neue Dimensionen des Geistes eröffneten, die mich einwiesen in die Meditation und in die Tiefe einer
authentischen spirituellen Praxis. Ich beginne erst jetzt zu begreifen, wie lächerlich die Lehre der Liga wirklich ist,
Welten der Wahrheit
,
Das
Buch der Erleuchtung
und all die anderen zusammengestohlenen und wirr vermischten Machwerke, die nichts anderes sind als Werkzeuge,
um Macht über möglichst viele Menschen zu gewinnen, Macht, Einfluss, Geld. Ein abscheulicher Mechanismus, der zugleich unendlich lächerlich ist. Du musst
lernen, über die Liga zu lachen, dann wird ihr Einfluss auf dich nachlassen. Lies das
Buch der Erleuchtung
mit einem Sinn für das unfreiwillig
Komische. Wenn man die Dinge nicht mehr verbissen ernst nimmt, wirken sie oft auf natürliche Weise komisch. Ted und ich haben uns manchmal totgelacht über
die Mahagurus und diese scheinbar hehre Heiligkeit der Liga. Aber Lachen alleine nützt wenig, vor allem nicht bei der Liga, die durchdrungen ist von einer
dunklen Energie. Du musst dich innerlich befreien, dich loslösen. Du musst beginnen, einen wirklichen spirituellen Weg zu gehen, nicht zuletzt, um dich vor
den bösen Kräften zu schützen, die hinter
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