Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
nicht sein. Ich musste den bitteren Kelch der Liga bis
zur Neige leeren. Als ich mein altes Leben zwangsweise verließ, erinnerte ich mich an jenen Abend. Ich fand sogar die Visitenkarte des Mannes in meinem
Adressbuch. Ich hatte sie damals mit dem festen Vorsatz aufbewahrt, ihn bald anzurufen, um unser Gespräch zu vertiefen, um mehr von den Dingen zu erfahren,
die er andeutete. Aber ich vergaß es, als ich wieder eintauchte in die Routine bequemen Selbstbetrugs. Nach so vielen Jahren schrieb ich ihm einen Brief,
ohne Hoffnung, dass der Empfänger überhaupt noch unter dieser alten Adresse zu erreichen sei, aber zu meinem Erstaunen erhielt ich Antwort. Dieser Mann ist
auch der Grund, warum ich jetzt in Kathmandu lebe, in einer Stadt, die ich eigentlich nicht mag. Ich habe mein Refugium in Südostasien verlassen, um ihn
hier zu treffen und ich bin geblieben, weil ich hier gefunden habe, was ich immer unbewusst suchte.“
„Wer ist dieser Mann,“ fragte Aron.
„Du wirst ihn kennenlernen. Ich dachte mir, dass er dich interessieren wird. Du hast ein ziemliches Risiko auf dich genommen, um mich zu besuchen, weil du
an der Liga zweifelst, weil du die Wahrheit wissen möchtest, wie du sagst. Da dachte ich mir, ich mache dich mit diesem Mann bekannt, der mir sehr geholfen
hat. Vielleicht kann er auch dir helfen.“
„Ja, ich möchte endlich die ganze Wahrheit über die Liga erfahren,“ hakte Aron ein. „Ich möchte dieses Gelbe Buch lesen, das Ben gelesen hat. Auch Judith
hat mir davon erzählt.“
Walt winkte ab. „Die Wahrheit findest du nicht im Gelben Buch. Es enthält nur die Erinnerungen eines törichten Mannes, der sich über viele Jahre selbst
belogen hat.“
„Aber es enthält die Wahrheit über die Liga…“
„Die Wahrheit steht in keinem Buch.“
„Trotzdem ist es wichtig, die Menschen aufzuklären, um sie aus der Verblendung herauszuführen. Judith ist der Meinung, dass man das Gelbe Buch unbedingt
veröffentlichen muss, um dem Unheil Einhalt zu gebieten, das die Liga über die Welt bringt.“
„Redet so ein Absolvent einer Liga-Akademie, ein Eingeweihter des Hju, ein künftiges Mitglied der Führerschaft?“
„Ich sagte doch, dass ich seit Langem an der Liga zweifle, dass ich endlich die Wahrheit herausfinden will,“ entgegnete Aron kleinlaut. Er hatte
übertrieben, war in seiner Verstellung zu weit gegangen. Walt durfte auf keinen Fall Verdacht schöpfen.
„Was wird geschehen, wenn diese Aufzeichnungen veröffentlicht werden? Ich habe es Judith erklärt, als sie mich in ihrer ungestümen Art drängte. Einige
Leute werden die Liga verlassen, aber die Liga wird alles tun, um den Schaden zu minimieren. Eine Menge Arbeit für Rechtsanwälte und Werbeleute. Ein
bisschen Aufsehen in der Presse. Dann ist die ganze Aufregung vorbei. Der wahren Macht der Liga konnte noch kein Buch etwas anhaben, kein
Enthüllungsartikel. Man muss der Liga mit inneren Mitteln widerstehen, muss ihre Quelle abgraben, nicht versuchen, den schon viel zu breiten Fluss
auszutrocknen. Aber ich kann dir nicht sagen, wie man vorgehen soll. Ich weiß nur, dass es müßig wäre, meine Aufzeichnungen als Waffe gegen die Liga
verwenden zu wollen. Vielleicht, wenn es gelungen ist, ihre innere Macht zu brechen, aber nicht vorher.“
„Aber darf ich sie lesen? Ich bin von so weit hergekommen, um endlich die Wahrheit zu finden. Ben hat das Gelbe Buch gelesen. Er hat mir das Tonband
mitgebracht.“
„Du weißt, was Ben zugestoßen ist. Sie haben ihn ermordet. Nicht mit den üblichen groben Mitteln, nein, es gibt subtilere, die passender sind für eine
Organisation, die von der schwarzen Kraft besessen ist. So wie man auch Mahaguru Gordon elegant beiseitegeschafft hat, als er unbequem wurde. Ich möchte
dich nicht in Gefahr bringen, Aron. Jeder, der die Wahrheit über die Liga kennt, ist in tödlicher Gefahr. Du ahnst nicht, welch böse Macht hinter der Liga
steht.“
Aron senkte den Kopf. Er fieberte. Es musste ihm gelingen, Walt zu überreden, das Gelbe Buch herauszugeben.
„Es geht nicht darum, die Liga zu bekämpfen,“ fuhr Walt fort. „Es geht nicht um solche Äußerlichkeiten. Deine Zweifel entzünden sich anfangs zwar an
Missständen in der Organisation, an Ungerechtigkeiten, an Personen, die ihrer Position unwürdig sind, an Dingen also, die man ändern, die man öffentlich
anklagen könnte. In Wirklichkeit aber ahnst du, dass der innerste Kern betroffen ist, die Lehre, das Hju, der
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