Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Mahaguru. Die Liga ist durchdrungen von einer
bösen Macht. Das spürst du unbewusst in deinen Zweifeln, wagst aber nicht, es einzugestehen, weil es dir ungeheuerlich scheint, weil es dein Weltbild ins
Wanken bringt. Und doch fühlst du, dass du dich auf einem Irrweg befindest und beginnst, nach authentischer Wahrheit zu suchen. Allmählich beginnst du, den
Betrug zu durchschauen. Du verlässt die Liga und widmest dich ganz deiner Suche nach Wahrheit. Es ist nicht mehr nötig, die Liga dann noch vernichten zu
wollen. Das habe ich auch Judith gesagt, aber sie hat es nicht verstanden. Sie will die Liga sprengen, sie ist erfüllt von Hass gegen diese Organisation.
Aber Hass ist keine Wahrheit. Hass ist auch eine Illusion. Wenn du etwas hasst, bist du ebenso stark daran gebunden, als würdest du es fanatisch lieben. Um
die Wahrheit zu finden, musst du alles loslassen, woran du hängst, im Guten wie im Bösen. Verzeih mir, Aron, wenn ich predige, aber ich habe in letzter
Zeit oft über diese Dinge nachgedacht. Ich lebe allein in Kathmandu. Ich habe viel Zeit zu denken und zu reflektieren. Nach all den Jahren der Umwege und
der Ignoranz habe auch ich begonnen, die Wahrheit in mir zu suchen.“
Aron wollte das Gespräch nicht abgleiten lassen. „Ja, ich zweifle,“ sagte er, „aber Zweifeln heißt nicht Wissen. Die Lehre der Liga ist so tief in mir
verwurzelt, dass es mir schwerfällt, diese abstrakte spirituelle Wahrheit, von der Sie sprechen, in mir zu finden. Ich muss erst die Wahrheit über die Liga
kennen, um diesen Block zu überwinden.“
Walt trank aus seiner Schale und überlegte. „So hat auch Ben gesprochen, fast mit den gleichen Worten, als ich ihn auf Bali traf. Er sagte, er sei auf der
Suche nach einem wirklichen, einem authentischen spirituellen Weg, einem wahren Meister, aber vorher müsse er die Lügen der Liga restlos aus seinem
Bewusstsein tilgen. Auch er zweifelte zuerst an den äußerlichen Aspekten, sah nur die Oberfläche rationaler Zusammenhänge. Doch als er das Band hörte und
das Gelbe Buch las, erkannte er die wahren Hintergründe. Dieses Wissen kostete ihn das Leben. Sie haben ihn kaltblütig ermordet auf eine Weise, die niemand
ermessen kann, der nicht Einblick besitzt in die Wege der schwarzen Macht. Du weißt das, Aron, und doch verlangst du von mir, dass ich dir diese unseligen
Aufzeichnungen in die Hand gebe.“
Die Erinnerung an Bens Tod riss die Wunde in Aron erneut auf. Es war ein Unfall, ein einfacher Unfall, schrie es in ihm, dieser Lügner, der die Liga
verderben will, ist selbst ein Werkzeug der schwarzen Kraft. Aron ließ das Hju still rollen, um sich zu beruhigen, doch ein bohrender Schmerz blieb. Er
spürte eine Wand in sich, hinter der etwas eingesperrt lag, das seinem Bewusstsein für immer verschlossen war, ein Wissen, das einmal so deutlich, so klar
gewesen war, doch nun für immer verloren schien.
„Aber es ist nur, um mir endgültige Sicherheit zu verschaffen,“ drängte er nach einer Weile. Er durfte nicht nachlassen. Er musste den Auftrag des Mahaguru
erfüllen. Wenn er das Gelbe Buch in Händen hielt und wieder im Flugzeug in die USA saß, würde alles gut sein. Er war ausersehen, ein Instrument für die
Kraft des Hju zu werden. Er würde die Große Einweihung erhalten. Dann würde er auch Judith auf den wahren Weg des Hju zurückführen. Er durfte nicht wanken,
er musste diesen Angriffen und Verführungen standhalten. Er hatte in vergangenen Leben versagt, in diesem war ihm die Chance zur Bewährung aufs Neue
gegeben. Er durfte sie nicht leichtfertig verspielen. Die Augen der Nokam ruhten auf ihm. Er glaubte den forschenden Blick des Mahaguru in sich zu spüren.
„Ich bitte Sie darum. Geben Sie mir dieses Buch nur für einen oder zwei Tage. Ich lese es in meinem Hotel und bringe es zurück. Es ist auch wegen Ben. Er
war mein bester Freund. Wir haben alles geteilt. Er hat mir das Band zugespielt. Er hätte mir alles gesagt. Ich muss es wissen, weil Ben es wusste. Ich
will wissen, was ihn in seinen letzten Tagen bewegte. Auch wenn ich die Liga verlasse, weil ich einsehe, dass sie hohl ist und ohne spirituellen Wert, so
müsste ich doch auch die äußerlichen Dinge kennen, um wirklich Ruhe zu finden.“
„Vielleicht habe ich dieses unselige Buch längst vernichtet,“ sagte Walt. Der Schreck, der sich auf Arons Gesicht malte, brachte Walt zum Lachen. Abrupt
erhob er sich. Aron fürchtete schon, er habe sich durch eine Unbedachtheit
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