Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
und verehrt. Nachdem die Fremden vertrieben sind, steigt Ägypten auf zur Weltmacht, was zugleich
aber den Verfall der alten Geisteskultur und ihrer Werte einleitet. Seth als Gott der Macht wird von einigen Pharaonen sogar in den Namen aufgenommen
(Sethos). Finden wir in diesem Seth nicht auch den Charakter des Be’el, der die Menschen zur Verehrung roher Macht treibt? Kann der Kampf der Götter, der
Mord an Osiris, das Urteil der Götter über den Mörder Seth nicht eine Anspielung sein auf den Streit der Menschen Atlans? Der Bannspruch unseres Steines
scheint ein Dokument dieses Kampfes, der sich natürlich nicht nur in den Göttermythen abspielte, sondern vor allem auch unter den Priestern und
Eingeweihten, die mit der Kunst der Magie gegeneinander vorgingen. Vielleicht ist der Sieg des Horus, das Gericht der Götter und die Verbannung des Seth
nur ein verschlüsselter Hinweis auf den Bann gegen die Magie des Be’el, die im Seth weiterlebte. Vielleicht wurde in diesem „Göttergericht“ der bannende
Spruch in den atlanischen Stein geschnitten, um seine Kraft zu brechen, um die in ihn geladene böse Energie zu neutralisieren, um seinen weiteren
Missbrauch zu verhindern. Vielleicht ist das Wiedererstarken des Seth unter den Hyksos und der Rausch weltlicher Macht, der Ägypten in den folgenden
Dynastien ergriff und letztlich zerstörte, die Folge, dass der Bann dieses Steins gebrochen wurde, dass der Stein selbst zerbrach und seines bannenden
Spruches ledig wurde. Vielleicht wurde er verborgen gehalten und erst nach langer Zeit von denen wiedergefunden, die um seine Wirkung wussten und ihn
nutzten zum Erringen äußerlicher Macht, die letztlich immer zerstörerisch wirkt. Vielleicht haben die Nokam schon in dieser Zeit durch menschliche
Instrumente gewirkt, um ihre Sache der Zersetzung zu fördern. Die ägyptische Inschrift deutet darauf hin, dass die Finsternis versucht hat, Fleisch zu
werden, dass eine Brücke geschlagen wurde aus der Hetemit, der Stätte der Vernichtung, doch dass diese Gefahr nun gebannt sei. Als Seth wieder erstarkte,
gelangte die weltliche Macht Ägyptens an ihren Gipfelpunkt, die geistige Macht aber war verfallen, die Religion zu einer hohlen Institution geworden, die
heiligen Bräuche und Machtworte wie Hu herabgesunken zu Mitteln profaner Magie. In dieser Zeit rascher Degeneration, des beginnenden Untergangs ägyptischer
Größe, als neue Völker und Kulturen aufstrebten, schien es den Nokam nicht mehr ratsam, den alten Kampf erneut aufzunehmen – bis heute, da sie beginnen,
mithilfe der Liga nach der Macht über die Welt zu greifen und die Zeit für geeignet halten, erneut die Brücke zu schlagen, von der unser Stein spricht, und
von der Sie, wie Sie mir schrieben, plastische Träume hatten. Nun machen sie Gebrauch von dem Schöpfungswort Hu, das sie in Ägypten verdarben und in ihre
dunkle Sphäre zogen, dem Hu, das sie in Atlan vergeblich zu erringen trachteten.
Wir dürfen aber nie vergessen, dass sich auch in diesem Geschehen nur die natürlichen Zyklen von Werden, Blühen und Vergehen vollziehen, die Zyklen, in
denen die dunkle Kraft nur die ihr zugeteilte Rolle im Gesamten spielt. Die helle und die dunkle Seite der Kraft vermögen einander nie ganz auszuschalten,
sondern pendeln stets hin und her, überwiegen einander zu manchen Zeiten und vermögen mitunter ein schwankendes Gleichgewicht zu erreichen. Der Stein, in
den die Energie des Dunklen geladen und zugleich von einer Gegenenergie gebannt wurde, steht wie ein Symbol für dieses schwebende Gleichgewicht, das über
Jahrhunderte die ägyptische Kultur prägte. Irgendwann aber zerbrach der Stein…
Ich möchte diesen langen Brief, der mein letzter sein wird, bevor wir uns persönlich begegnen, mit einer Anmerkung über das Mantra Hu schließen, das in der
Epoche des alten Ägypten in den Dienst der dunklen Kraft gezwungen wurde. Die Silbe Hu wird auch von den Sufis, den mystischen Vereinigungen des Islam in
Rezitationen und Gesängen gebraucht. Ich selbst wurde als junger Mann in die Übungen und Bräuche der Sufis eingeweiht, in aller Heimlichkeit allerdings,
denn zu jener Zeit lastete die Macht kommunistisch-materialistischer Weltanschauung noch schwer auf Usbekistan, dem mittelasiatischen Land, aus dem ich
stamme und das damals noch Teil der Sowjetunion war. Die spirituellen Lehren des Islam überlebten in geheimen Bruderschaften die Jahrzehnte grausamer
Unterdrückung. Ich wurde in Samarkand,
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