Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
eines Wortes, doch getrennt durch die Verwendung dieses Lautes als Instrument
dualer Mächte im menschlichen Bewusstsein. Es gibt mir die Hoffnung, dass vielleicht, wenn der Zyklus des Dunklen, der Missbrauch des Hu durch die Nokam,
zu einem Ende gekommen ist, den Menschen das Hu wieder allein als Wort der Reinheit bekannt sein wird, wie es einst war und wie es die Sufis und andere bis
heute überliefert haben. Diese authentischen mystischen Traditionen bewahren das reine Licht, über das ein Schatten fiel, dessen Sinn den Menschen verloren
ging bis auf einen kleinen Kreis von Wissenden. Ich kann Sie nur unterstützen in Ihrer Meinung, dass man selbst in einer Welt, die von Lüge geschändet ist,
nicht aufgeben darf, nach der Perle der Wahrheit zu suchen. Die allem zugrunde liegende, unvergängliche Wahrheit, die „philosophia perennis“, war selbst in
dunkelsten Epochen auffindbar und ist es auch heute. Wir werden bei unserer bevorstehenden Begegnung Gelegenheit haben, Ihre Fragen über das Wesen eines
authentischen spirituellen Weges näher zu besprechen. Vielleicht vermag ich Ihnen bei Ihrer Suche einige geringe Hinweise zu geben. Ich freue mich auf
unser Wiedersehen und grüße Sie herzlich.
Ihr Timur Aslan.
Kapitel 24
Hinter der Mauer
Lange war Aron unschlüssig, ob er der Einladung folgen sollte, ob es nicht besser wäre, unter einem Vorwand abzusagen, Walt hinzuhalten, auf einen Tag nach
dem Abflug zu vertrösten. Aron spürte, dass es gefährlich war, mit Walt zu sprechen, seine Wahrheitsverdrehungen ins Bewusstsein zu lassen. Sie hatten
schon Ben verdorben und Judith. Eigentlich hatte Aron fest vorgehabt, Walt nicht mehr zu begegnen, doch er kam zu dem Schluss, dass es am wenigsten Argwohn
erweckte, wenn er die Einladung annahm, um mit Walt über Ben zu sprechen. Mochte Walt auch ein Verräter an der Liga sein, ein Feind des Mahaguru, es war
Ausdruck der Liebe des Hju, ihm den Gefallen zu tun, über seinen Sohn zu sprechen, seinen Schmerz über Bens Tod zu teilen. Aron nahm sich vor, jedes
Gespräch über die Liga zu vermeiden, nur bei privaten Erinnerungen an Ben zu verweilen. Trotzdem würde es schwer werden, diese Stunden zu überstehen. Aber
vielleicht war dieser Besuch auch der Liga von Nutzen, vielleicht konnte Aron etwas herausfinden, was nicht im Gelben Buch stand, vielleicht etwas von
Walts Plänen erfahren. Vielleicht war auch die Begegnung mit diesem Dr. Aslan von Wichtigkeit. Wahrscheinlich vermochte Aron der Liga mehr zu nutzen, wenn
er das Wagnis dieses Besuches einging, statt tatenlos im Hotel auf den Rückflug zu warten. Quälend lange Stunden hatte er schon in dem kleinen Zimmer
verbracht, lesend, meditierend, das Hju singend. Der Gedanke, dass sein Besuch bei Walt dem Mahaguru nützlich sein könnte, gab den Ausschlag. Nach langem
Überlegen gab sich Aron einen Ruck und verließ das Hotel.
Als er im Taxi saß, fühlte er sich unwohl, dachte daran, den Fahrer umkehren zu lassen. Aron trug das Gelbe Buch in seinem Tagesrucksack bei sich. Es war
ihm unmöglich gewesen, es auf dem Zimmer zu lassen. Es könnte gestohlen werden, verbrennen. Seit es sich in Arons Besitz befand, wurde er verfolgt von der
Befürchtung, ein Unglück könnte den Erfolg seiner Mission im letzten Augenblick zunichtemachen. Er würde das Gelbe Buch mit seinem Leben verteidigen. Es
war das Unterpfand seiner Treue zum Mahaguru, einer Hingabe, die niemals wieder wanken würde. Aron schloss die Augen und sang im Stillen das Hju, um seine
Nervosität zu besänftigen und sich auf die Begegnung mit Walt vorzubereiten.
Er bezahlte das Taxi und ging rasch die wenigen Schritte zu dem von einem ungepflegten Garten umgebenen Gebäude. In Gedanken versunken bemerkte er kaum die
Unruhe vor der offenstehenden Haustüre. Noch an diesem Vormittag war alles still und menschenleer gewesen, nun aber traten gestikulierende und
diskutierende Menschen eilig aus der Tür. Das Treppenhaus war erfüllt von erregtem Stimmengesumm. Alle Türen standen offen. Es war Aron nicht recht, dass
so viele Leute ihn hier sahen. Mit gesenktem Kopf drängte er sich an den Menschen vorbei. Vielleicht ein Fest, dachte er, eine Hochzeit, eine
Familienfeier, bei der alle Nachbarn eingeladen sind, oder irgendeine Streitigkeit. Aron stieg in den ersten Stock hinauf. Auch die Tür zu Walts Wohnung
stand offen. Menschen drängelten vor ihr. Sie schien das Zentrum des hektischen Hin und Her. Aron erschrak. Etwas trieb ihn,
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