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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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augenblicklich umzukehren,
    zurückzufahren in die Sicherheit seines Hotelzimmers, aber seine Neugierde war stärker. Eine laut kreischende Frauenstimme drang aus Walts Wohnung. Sie
    überschlug sich beim Sprechen, fiel in Jammern und monotones Rufen. Die Menschen, die den Zugang zur Tür versperrten, schienen in ständiger schiebender
    Bewegung. Aron zwängte sich an einigen vorbei, stellte sich auf die Zehen, reckte den Hals, erhaschte flüchtige Blicke.
    Walt lag auf dem Rücken in dem schmalen Korridor, der zu dem Zimmer führte, in dem sie am Vormittag Tee getrunken hatten. Er trug den gleichen weißen
    Leinenanzug, doch das Weiß war nur mehr zu erahnen. Es schien, als habe sich der Stoff vollgesogen mit Blut, als habe man ihn gewaschen in der roten Lache,
    in der Walt lag. Aron erkannte kaum Walts Gesicht mit den weit offenen, gebrochenen Augen und dem wie zu einem Schrei geöffneten Mund. Auch die dunkel
    klaffende Wunde, die sich quer über den Hals zog, schien wie ein Mund, ein zweiter, grässlicher, blutiger Rachen.
    Im gleichen Augenblick blitzte in Aron aus dem Dunkel tiefen Vergessens die verlorene Erinnerung an Blackwater auf – eine Wunde, aus der in heftigen Stößen
    Blut quoll, der mit erstauntem Blick zu Boden sinkende Richard, Patrick Panetta, ein Messer in der Faust, der lachende Mahaguru. Blendend hell schoss
    dieses Bild auf Aron los, traf ihn wie ein Schlag gegen die Brust. Aron griff an sein Herz, spürte, wie dort etwas zerbarst, wie grelles Licht durch einen
    splitternden Panzer aus Dunkelheit brach. Noch im Zurückweichen spürte Aron, dass alle Lebenskraft aus ihm wich, dass es leer wurde hinter seiner Stirn,
    dass die Glieder, die Muskeln, weich unter seinem Gewicht wegsanken. Ein dröhnender, zu tosendem Crescendo schwellender Ton begleitete diese Wahrnehmungen,
    die nur Bruchteile von Augenblicken währten, ein von unzähligen Echos gebrochenes Krachen, als berste ein Damm, als stürze ein Gebirge aus Eis. Aron
    versuchte sich an das Hju zu klammern, doch dieser Reflex ließ heftige Übelkeit aufsteigen. Sein Geist verlor sich, zerstäubte nach allen Richtungen. Aron
    sank in das Gewühl der Menschen, die fast widerwillig zur Seite wichen, die jetzt erst seine Anwesenheit zu bemerken schienen. Aron spürte es nicht mehr,
    denn in diesem anschwellenden Tosen brach in ihm eine Wand, hinter der Bilder von solcher Gewalt eingeschlossen waren, dass er glaubte, ihre plötzlich
    losbrechende Flut würde ihn zermalmen. Doch die Bilder begruben ihn nicht unter sich, rissen ihn nicht fort, sondern schufen einen Raum kristallener
    Klarheit, einen Raum, in dem alles stillzustehen schien wie im Auge eines Taifuns, in dem es keine Bewegung mehr gab, nur eine wache Schärfe des Geistes,
    die Aron erstaunte. Er sah sich in seinem Zimmer in Blackwater, spürte die Energie der Finsternis, die ihn aus dem Körper löste, ihn mit sich riss, hinüber
    über die Brücke des Windes in die Pyramidenkammer der Nokam. Die Erfahrung dieser Nacht, vor die eine vernichtende Kraft den Vorhang des Vergessens gezogen
    hatte, die ausgelöscht worden war von der Hand des Mahaguru, stand nun in solch leuchtender Klarheit vor ihm, als würde er sie jetzt, in diesem Augenblick,
    noch einmal erleben. Die Glocke aus Finsternis, die ihn seither umgeben, zersprang und fiel ab von ihm. Gleichzeitig war ihm bewusst, wo er sich befand. Er
    sah Walt in seinem Blut liegen, sah die Menschen im Treppenhaus, hörte das hysterische Schreien der Frau, die neben Walts Leiche kniete, sah, wie
    Polizisten sich einen Weg durch die Menge bahnten. Die Bilder seines Traumes von Blackwater und die Wahrnehmungen der Gegenwart vermischten sich, flossen
    ineinander, doch Aron vermochte zugleich ihren Spuren zu folgen. Sein Geist war klar und klingenscharf. Wie von einem losgelösten Punkt irgendwo im Raum
    vermochte Aron die Dinge zu beobachten. Er nahm nicht teil an ihnen, war nur ihr Zeuge, ihr Wahrnehmer, einer, der sie erkennt und durchschaut, aber nicht
    bewertet, sich nicht verstrickt mit ihnen, nicht hinabgezogen wird in ihre Verwirrung. Wie Perlen an einem Faden reihten sich die Erinnerungen auf. Er sah
    die Große Einweihung Panettas, sah den Schatten des Nokam eintreten in die körperliche Hülle des Liga-Präsidenten, sah Richard niedersinken mit
    durchschnittener Kehle, sah die Feuer sprühenden Dämonenaugen des Mahaguru, spürte seine eigene Panik, als er blitzartig das wahre Wesen der Liga
    durchschaute, hörte sich schreien,

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