Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
Vom Netzwerk:
fühlte den Zorn der Nokam, die Eishände des Mahaguru, die nach seiner Stirn und seinem Herzen griffen, spürte die
    unerträglich brennende Kälte, die sich in ihn bohrte. Nun aber löschte sie sein Bewusstsein nicht aus. Unbeteiligt erlebte er dies alles, ohne Emotion,
    ohne Angst, ohne Gedanken. Er sah die Dinge geschehen, doch er war nicht berührt von ihnen. In leuchtender Klarheit zogen die Ereignisse an ihm vorbei.
    Aron wusste, dass nie wieder Vergessenheit über sie gebreitet sein würde. Zur gleichen Zeit erkannte er die Verbindungslinien zwischen den Menschen und
    Geschehnissen, die sein Leben bestimmt hatten. Wie die natürlichen Konturen einer Landschaft flossen sie ineinander. Aron schien es, als sei sein Leben
    zuvor ein verdunkelter Raum gewesen, aus dem das Licht einer Taschenlampe vage Einzelbilder gelöst hatte, nun aber war eine Sonne aufgegangen, die alles
    zugleich beleuchtete, die alles in seiner Gesamtheit sehen ließ. Endlos reichten die Linien der Erinnerung zurück in die Vergangenheit, durch unzählige
    Leben, unzählige Tode, kreuzten und verwirrten sich, verbanden sich mit anderen, lösten sich wieder. Viele dieser Linien waren schwach und kurz, folgten
    dem Strom der Zeit nur flüchtig, verloren ihre Kraft, erloschen rasch, andere waren von starker Energie geladen, wurzelten in unermesslichen Abgründen und
    wuchsen durch die Zeit wie uralte Bäume. Aron folgte ihnen zurück. In rasender Geschwindigkeit wirbelten Millionen Bilder vergangener Leben um ihn und doch
    vermochte er sie klar zu erfassen. Zu Knoten ballten sie sich manchmal, zu gewaltigen Entladungen von Energie, aus denen neue Linien wuchsen und jene
    uralten frische Kraft schöpften, um fortzubestehen. Aron sah, dass seine Verkettung mit der Liga, mit den Nokam, mit dem Mahaguru, aus einer dieser
    Verknotungen wuchs, in der sich verschiedene Energieströme kreuzten und vereinten. Es waren Leben, die hervorragten aus dem schier endlosen Strom der
    anderen, Leben, in denen Ursachen gesetzt wurden für Hunderte weiterer Existenzen, in denen es keinen freien Willen mehr zu geben schien, nur hilfloses
    Treiben im reißenden Fluss dieser Energien. Weite Bögen schlugen sich von diesen Knoten, an denen Samen gepflanzt wurden, zu anderen, die Möglichkeiten
    boten, diese Verkettungen von Ursache und Wirkung zu durchschneiden, die uralten Bäume zu fällen, die mächtigen Kräfte versiegen zu lassen. Wurden diese
    Wendepunkte nicht genutzt, wenn sie im ewigen Lauf der Zeit erschienen, wandelten sie sich zu neuen Ursachen, die neue Bindungen schufen, neue
    Verflechtungen, neue Verblendung. Aron wusste auf einmal, dass ihm in diesem Leben die Möglichkeit gegeben war, eine solche Urlinie zu durchtrennen. Gelang
    es ihm nicht, würde er noch tiefer in die dunkle Kraft sinken, die jetzt, in dieser Existenz, wieder aufblühte zu unheilvoller Macht. Aron sah sich an den
    Wurzeln des mächtigen Baumes. Die Bilder, die er auf Bali schemenhaft hatte vorüberhuschen sehen in jener Nacht des Feuertanzes, standen ruhig und klar vor
    ihm. Der Mahaguru hatte ihn näher an diese Bilder herangeführt, doch er hatte gelogen, hatte vieles verzerrt, um der Sache der Nokam zu nützen. Den
    Mahaguru sah er, Xerck, den Herrn des Feuers, im Tempel des Be’el. Er spürte die quälende Angst, die er vor diesem Mann empfand, der ihm in die Tiefe des
    Herzens zu blicken vermochte, der ihn beherrschte und führte wie ein willenloses Werkzeug. Er spürte die Vernebelung des Geistes, in die er sich in diesem
    fernen Leben durch Ausschweifungen und Drogen hüllte. Er wusste um das Gespinst von Lügen, das er errichtete, um den Hohepriester des Be’el zu täuschen.
    Der Be’el hatte ihn auserwählt, weil seine Familie einen Ring besaß, der den Bannkreis um die Gläserne Stadt öffnete, doch er hatte die Macht dieses Ringes
    verspielt. Aron erkannte all dies, als sei es in seinem jetzigen Leben geschehen und nicht vor Jahrtausenden, es war, als sei er zurückgekehrt in den
    Körper des jungen Kaufmanns, der besessen war von Gier nach Reichtum und Macht, dessen Herz verführt war von der dunklen Kraft dieses flammenden Gottes,
    der selbst nur ein Instrument der Nokam war, der Urgewalt der Finsternis. Zitternd vor Angst, seine Lüge könnte entdeckt werden, stand er vor dem Herrn des
    flammenden Be’el, von dessen Gunst sein Leben abhing, lauschte den schrecklichen Prophezeiungen, suchte unterwürfig dem Alten zu gefallen, in dessen Blick
    das vernichtende Feuer

Weitere Kostenlose Bücher