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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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streckte Timur die Hand hin und sagte: „Es würde mich freuen, Doktor Temer, Sie morgen bei der Einweihung zu sehen. Walt wird Ihnen Zeit und
    Ort mitteilen. Es ist besser, die heilende und erleuchtende Segenskraft des Hju durch die Einweihung des Mahaguru selbst zu erfahren, als aus alten
    Hieroglyphen etwas so Negatives herauszulesen.“
    Auch Timur erhob sich. Mit höflicher Verbeugung schüttelte er Jasons Hand. „Verzeihen Sie noch einmal, dass ich Sie so spät belästigt habe.“
    Jasons unerschütterliches Selbstvertrauen kehrte zurück. „Die Zeit des alten Ägypten und der noch älteren Kulturen, auf die Sie anspielen, liegt Tausende
    von Jahren zurück. Die uralten Adepten haben die Reinheit des Hju unverfälscht bewahrt, auch in Ägypten und Atlantis, als sich das verblendete Volk der
    Magie zuwandte.“
    „Die alten Zeiten kehren immer wieder,“ entgegnete Timur und wandte sich zum Gehen. Auch ich hatte mich erhoben, um den sonderbaren Gast hinauszubegleiten
    und sicherzugehen, dass er die Etage des Mahaguru verließ. Ich war auf eigentümliche Art ergriffen von diesem Archäologen. Schweigend führte ich ihn hinaus
    und holte den Aufzug.
    „Auf Wiedersehen,“ sagte Timur, als sich die Lifttüre öffnete.
    Einem Impuls folgend trat ich mit ihm in die hell erleuchtete, von leiser Hintergrundmusik erfüllte Kabine.
    „Ich begleite Sie nach unten,“ sagte ich mit gespielter Lässigkeit.
    Der Aufzug surrte los. Etwas drängte mich, ein Gespräch mit dem Mann zu beginnen, der teilnahmslos neben mir stand. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dies
    sei eine Gelegenheit, die sich mir niemals wieder bieten würde.
    „Sie erwähnten vorhin eine Hochkultur, die vor den Ägyptern bestand,“ begann ich steif, in dozierendem Tonfall. Ich machte mich wichtig, kehrte den
    ehemaligen Verleger kunsthistorischer Bücher heraus, der die ungewöhnliche Theorie eines seiner Autoren kritisch hinterfragt. Timur sah mich an und nickte.
    „Ich kann mich nicht entsinnen, von archäologischen Funden gehört zu haben, die auf eine solche Vorgängerkultur hinweisen.“
    „In der Archäologie gibt es weit mehr offene Fragen als Antworten,“ entgegnete Timur. „Die meisten Archäologen gestehen dies nicht gerne ein. Manche werden
    sogar wütend, wenn gewisse Fragen nicht in das Erklärungsgebäude passen, auf das man sich geeinigt hat.“
    Der Aufzug war in der Hotellobby angekommen. Die Halle war voll von Atmas, die plaudernd beisammensaßen. Das Knüpfen von Kontakten und Freundschaften, das
    Treiben in der Menge von Gleichgesinnten, die Entrücktheit von allen Alltagsproblemen machte schon damals die besondere Seminaratmosphäre aus, von der die
    Atmas zu allen Zeiten schwärmten.
    Ich begleitete Timur zum Ausgang. Es war mir peinlich, dass mich einige Atmas erkannten und respektvoll grüßten.
    „Oder spielen Sie etwa auf esoterische Theorien über Atlantis an?“, fragte ich, als wir vor dem Hotel in der lauen kalifornischen Aprilnacht standen. Der
    uniformierte Portier grüßte uns mit einem Tippen an die Mütze und fragte, ob er ein Taxi rufen solle.
    „Glauben Sie wirklich, dass einem Volk, das – ich drücke das jetzt sehr überspitzt aus – gerade gelernt hat, Töpferwaren herzustellen und kleine Mastabas
    für ihre Toten zu bauen, aus heiterem Himmel einfällt, ohne ausreichende technische Mittel Pyramiden zu errichten, und zwar so vollkommen und ausgeklügelt,
    dass wir selbst heute noch nicht all ihre verborgenen Geheimnisse, seien sie nun mathematischer oder astronomischer Art, verstehen können und nicht einmal
    wissen, wie, wann und von wem diese Pyramiden gebaut wurden?“, antwortete Timur.
    Seine Stimme hatte auf einmal etwas warmes, freundliches, das eine ungewöhnliche Reaktion in mir auslöste. Ich fühlte eine Weichheit, die mich mit einem
    Strom von Erinnerungen und Gefühlen überschüttete. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, in der ich als Kind den Gesprächen meines Vaters mit seinen
    Autorenfreunden zugehört hatte, die gelehrten Ausführungen über Ausgrabungen und Kunstschätze nur halb verstehend, aber doch fasziniert lauschend, mich an
    der Aura des Geheimnisvollen weidend, die an solchen Abenden, an denen ich länger aufbleiben durfte, alles zu umgeben schien. Im gleichen Augenblick wurde
    meine gegenwärtige Situation schonungslos von einem grellen Licht angeleuchtet, meine schizophrene Stellung in der Liga, von der ich wusste, dass sie nur
    auf Lüge und Größenwahn

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