Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
gründete und deren Sache ich trotzdem mit ganzer Kraft vorantrieb, mein schwarzes Loch des Kummers um Edith und Ben, das ich
verdrängte, indem ich mich in meine Arbeit und oberflächliche Vergnügungen einmauerte, mein ganzes heillos verfahrenes Leben, das keinerlei Perspektiven
kannte, nach außen hin aber glänzend, erfolgreich und beneidenswert schien. Die Gegenwart dieses Mannes, der scheinbar unbeteiligt neben mir stand, hatte
eine Bresche in die Betonwand meines Inneren geschlagen, hinter der ich diese unbequemen Fragen und Gefühle gefangen hielt und vor mir selbst zu verbergen
suchte. Einen Moment lang glaubte ich, ich würde in Tränen ausbrechen. Aber ich fasste mich, hielt mühsam meine Fassade aufrecht.
„Ich weiß es nicht, Dr. Aslan,“ entgegnete ich, „ich weiß nur, dass die Wissenschaft bislang keinerlei Beweise für die Existenz einer solchen versunkenen
Kultur gefunden hat.“
„Glauben Sie denn, nur das existiert, was die Wissenschaft gefunden hat? Woher kommt dann das, was sie erst später finden wird?“
Ich musste lachen über diese merkwürdige Logik. Neben all der Zerrissenheit, dem Chaos der Gefühle, Erinnerungen und Schmerzen in mir, spürte ich
ausgelassene Heiterkeit, die sich über alles andere emporschwang.
Auch Timur lachte ein kurzes fröhliches Kichern und streckte mir die Hand hin. „Leben Sie wohl,“ sagte er, „vielleicht begegnen wir uns eines Tages
wieder.“ Er nickte dem Portier zu, der einige Schritte in die Dunkelheit hinausging, um vom Parkplatz ein Taxi zu rufen.
„Kommen Sie morgen zur Einweihung des Mahaguru? Ich sollte Ihnen Zeit und Ort mitteilen“, fragte ich.
Timur schüttelte den Kopf. „Ich bin morgen nicht mehr in der Stadt.“
Ich wollte diese Begegnung nicht ohne Weiteres abreißen lassen. Jeder Augenblick mit Dr. Aslan schien mir plötzlich unerhört kostbar. Aber ich brachte nur
eine unverbindliche Phrase hervor: „Was Sie über das Hju gesagt haben, ist sehr interessant.“
Timur nickte abwesend. „Interessant ist wahrscheinlich das falsche Wort.“
Ein Taxi hielt vor uns. Der Portier riss die Wagentür auf.
„Leben Sie wohl. Vielen Dank, dass Sie mich herunterbegleitet haben,“ sagte Timur, drückte dem Portier einen Dollarschein in die Hand und stieg in den
Wagen.
Fast in Panik beugte ich mich herab und fragte durch das heruntergekurbelte Fenster: „Kann ich Sie irgendwo kontaktieren?“
„Ohne ihr Angebot im geringsten abwerten zu wollen – ich denke nicht, dass ich mich für eine Mitgliedschaft oder Einweihung interessiere.“
„Nein, nicht deswegen. Ich dachte nur…“ Ich benahm mich wie ein Idiot.
Über Timurs Vollmondgesicht huschte der Anflug eines Lächelns. Er zog eine Karte aus seiner Sakkotasche und reichte sie mir. Im nächsten Augenblick rollte
das Taxi davon.
Kapitel 10
Flammendes Dunkel
Eine nicht messbare Zeit lang, Äonen oder auch nur Augenblicke, herrschte Finsternis, so tief und undurchdringlich, dass kein Gedanke, kein Gefühl, kein
Wahrnehmen darin zu existieren vermochte. Plötzlich aber, aus der Mitte des Dunkel, trat die steinerne Fratze eines Götzenbildes, ein kolossaler Kopf mit
weit aufgerissenem Rachen und riesigen Höhlen anstelle von Augen und Nase. Verloren in dem schwarzen Abgrund schien dieses Bildnis, und doch glühte es
düster, denn ein Feuer raste in seinem Inneren, ein Orkan von Glut und Flammen, der Funkenregen aus den Öffnungen des Kopfes stieben ließ, Feuerstürme, die
vom lichtlosen Nichts gierig aufgesogen wurden. Das Dämmern des Flammenmeeres schien dem Dunkel, das es umgab, nicht entgegengesetzt, es kämpfte nicht mit
der Finsternis, in die es eingebettet lag, schien vielmehr aus ihr zu strömen, als sei es daraus geboren, als läge die Quelle des Feuers im innersten
Herzen der Dunkelheit, als sei sie der Stoff, der die Flammen nährte. Kein Licht strahlte von dem Feuer aus, sondern eine Aura eisiger Schwärze, als habe
die Dunkelheit sich selbst entzündet und verzehre sich in einem zerstörenden, alles verschlingenden Brand. Tobende Kraft strömte von dem Bildnis aus,
pulsierende magnetische Energie, die den leeren Raum durchzuckte, rohe, hemmungslose Macht, die das Universum zu umspannen schien. Mit solcher Stärke sog
und zerrte diese Kraft am Nichts der Dunkelheit, dass sich eine Landschaft um sie formte, dass sich Materie zusammenballte und Bilder gestaltete – eine
weite, mit Gras und Buschwerk bewachsene Senke, gesäumt von der düsteren Wand
Weitere Kostenlose Bücher