Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
rasende Feuer alle Zweifel und Unsicherheiten in ihm vernichtet. Um diesen Kern nüchterner Schärfe aber lag ein
Mantel der Verwirrung.
„Es ist gut. Alles in Ordnung,“ sagte die Stimme wieder, auf Englisch mit amerikanischem Akzent. Aron hatte diese Stimme erst neulich gehört, doch er
vermochte sich nicht zu erinnern wo. Er wandte sich zur Seite. Ein Mann in hellen Kleidern, die im Halbdunkel zu strahlen schienen, kauerte neben ihm, nahm
ihm die Teeschale aus der Hand. Über sein Gesicht flog ein Lächeln. „Du solltest schlafen. Schlaf heilt.“
Aron schüttelte matt den Kopf. Er fürchtete sich, zurückzugleiten in die grausamen Bilder, die noch immer als brennende Echos in ihm nachklangen.
Der Mann wandte sich mit leisen Worten an die Balinesen, die um Arons Lager kauerten, die seinen sich bäumenden Körper gehalten hatten. Still erhoben sie
sich und verschwanden in der Dunkelheit.
„Sie sind erstaunt, dass auch ein weißer Fremdling in die große Trance fallen kann. Das haben sie noch nie gesehen,“ sagte der Mann heiter.
Auch Aron musste lächeln. „Es tut mir leid, wenn ich...“
„Es ist nichts, was einem leid tun sollte. Hier gilt es als ein von den Göttern gesegneter Zustand.“
„Ich fürchte, es war nur ein Ohnmachtsanfall. Ich weiß nicht so recht, warum, aber die Schwüle, die eng gedrängten Leute... Ich bin als Kind manchmal
ohnmächtig geworden in überfüllten Räumen…“ Aron redete, um die Bilder fortzuschieben, die sich in ihm drängten und nach seiner Aufmerksamkeit schrien. Er
wusste, dass seine Erklärungen nichts bedeuteten, aber er wollte eine Mauer aus Alltäglichkeit vor diesen Eindrücken aufrichten, um sich selbst zu sammeln,
zu festigen. „Es war so ungewohnt – der Mann im Feuer, die Menschen, die in Verzückung gerieten... eine Kraft, die mich aus dem Körper nahm...“
„Es gibt manches hier, das nicht ohne Weiteres zu erklären ist. Schlafe ein paar Stunden. Morgen ist alles vergessen. Ich lasse dich jetzt alleine. Aber es
sind Leute in der Nähe. Du brauchst nur zu rufen, wenn du etwas brauchst oder dich nicht wohlfühlst.“
Der Mann richtete sich auf und ging zur Tür.
Aron grübelte, woher er seine Stimme kannte. Er hatte sie vor Kurzem gehört und sie hatte ihn stark bewegt. Plötzlich erinnerte er sich. Auf Bens Tonband!
Es war eine der beiden Stimmen, die er aus seinen Kopfhörern vernommen hatte, mitten im Kopf schwebend.
„Ich kenne Ihre Stimme,“ hörte Aron sich sagen, erschrocken über die Bestimmtheit, mit der er sprach.
Der Mann drehte sich um und sah Aron fragend an.
„Ich habe Ihre Stimme gehört, neulich, auf einem Tonband, das mir Ben…“ Aron erschrak, als dieses sorgsam gehütete Geheimnis, deswegen er sogar den Lirep
belogen hatte, ohne Weiteres über seine Lippen floss. Nervös versuchte er sich aufzurichten.
„Ben?“, fragte der Fremde. „Wie heißt du, junger Freund?“
„Aron Endres. Kennen Sie Ben?“
Der Mann lächelte. „Aron Endres,“ wiederholte er langsam und ließ jede Silbe auf der Zunge zergehen. „Welche Fügung! Ich kenne zwar nicht deine Stimme,
aber ich kenne dich. Ben hat mir von dir erzählt. Du bist sein bester Freund, nicht wahr? Ihr studiert zusammen an der deutschen Akademie der Liga.“
In der Stimme des Mannes lag etwas Beruhigendes, das zugleich wie eine unausgesprochene Frage schien. Er kauerte sich wieder neben Arons Lager nieder,
schien zu überlegen, ob er weitersprechen sollte, ob er Aron vertrauen konnte.
„Ben hat dir ein Tonband gegeben?“, fragte er schließlich. „Ein Tonband mit meiner Stimme? Was hat Ben gesagt, als er dir das Tonband gab?“
„Nichts!“ stieß Aron hervor. Der Schmerz um Bens Tod fiel wie ein bleiernes Gewicht auf ihn, überwältigte ihn, riss kaum vernarbte Wunden auf, überflutete
sein sensibilisiertes Bewusstsein mit jäher Gewalt. Sein Empfinden war anders jetzt, jedes Gefühl schien greifbar, körperlich, jeder Gedanke schien wie
eine Glaskugel in einem leeren Raum unendlicher Ausdehnung.
„Nichts?“, fragte der Fremde sanft. Er schien Arons Überreiztheit zu spüren. „Sprechen wir überhaupt vom selben Tonband?“
„Ich denke schon. Ben hat eine Kassette der
Heavenly Lights
überspielt. Er hat das Band in unserem alten Schülerversteck hinterlegt. Ich habe es
nur zufällig gefunden. Ihn selbst habe ich nicht mehr gesprochen. Ben ist tot!“
Nun verlor der Fremde die Fassung. „Ben ist tot?“
„Sie sind Bens Vater, nicht
Weitere Kostenlose Bücher