Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
Vom Netzwerk:
Haupt, in Meditation versunken, entgegennahm, sprach er über Ben. Er sprach über die
    unergründlichen Fügungen des Hju, über die Verstrickungen des Schicksals, die nur der Mahaguru zu deuten vermochte. Tief bewegt kam er auf Bens Unfall zu
    sprechen, auf sein tragisches Ableben auf der Straße vor dem Liga-Zentrum. Doch sein unsterbliches Wesen sei unberührt von diesem Schrecken des Todes, den
    jeder Körper eines Tages erleiden müsse. Ben habe sich befreit von den Fesseln des Leibes, diesem Sack aus Blut und Knochen, diesem Gefängnis des Geistes,
    befreit von den Banden der Gefühle und Begierden, von den labyrinthischen Windungen des Verstandes. Glücklich zu preisen sei Ben.
    Aron spürte Tränen in die Augen steigen, zugleich aber fühlte er Widerstand, unerklärlichen Zorn, der plötzlich aus unbekannten Kammern seines Inneren
    hervorzubrechen schien. Er lügt, schrie es in ihm, er hat Ben gehasst. Crapp hatte Ben nie gemocht, den jungen Rebellen, der sich über die fest gefügten
    und eifersüchtig gehüteten Rangordnungen und Positionen in Crapps Machtbereich mit einem Scherzwort hinwegzusetzen pflegte und dessen Kritik auch vor Crapp
    selbst, dem Lirep, dem Stellvertreter des Mahaguru, nicht haltmachte. Es war Abneigung auf den ersten Blick, ein untrügliches Erspüren, dass hinter allen
    Masken ligaüblicher Verbindlichkeit ein Widersacher lauerte, einer, mit dem es niemals Übereinstimmung geben konnte. Karmische Verstrickung nannte man
    solche spontanen Sympathien und Antipathien im Jargon der Liga, und diese leichtweg gebrauchte Deutung befestigte Zuneigung oder Hass mit dem Zement
    unwiderruflicher kosmischer Gesetze. In diesem Fall war Crapp der Überlegene. Es war ihm ein leichtes, Ben spüren zu lassen, wer über wirkliche Macht
    verfügte, eine Macht, vor der auch eine hoch eingeweihte Mutter nicht zu schützen vermochte, eine Macht, die unbestechlich und streng vorging, wie der
    Mahaguru es forderte. Bens Missionsreise bot für diese Kraftprobe den geeigneten Anlass. Ein achtwöchiger Aufenthalt in einem Missionszentrum schloss sich
    als Teil des Praxistrimesters an die Abschlussprüfungen der Akademie an. Ben hatte sich für die Mission in Indonesien entschieden, hatte die alternativen
    Vorschläge des Liga-Zentrums abgelehnt, unbeirrt auf seinem Wunsch beharrt, obwohl seine mäßigen Zensuren, sein demonstrativer Auszug aus dem Wohnheim,
    seine kritischen Diskussionsbeiträge in den Arbeitskreisen solche Hartnäckigkeit kaum ratsam scheinen ließen. Crapp hatte ihn warten lassen, wochenlang,
    bis schließlich die Papiere für die gewünschte Reise ausgehändigt wurden. Ben war abgefahren, als die anderen Absolventen gerade von ihren Missionsreisen
    zurückkehrten, ihre Abschlussarbeiten fertigstellten und Aufgaben in den lokalen Zentren übernahmen.
    ‚Er lässt mich die Willkür seiner Macht spüren,‘ hatte Ben gesagt, ,aber ich werde mich nicht beugen.’ Aron hatte den Lirep verteidigt, dessen Vision von
    einer Spiritualisierung der Liga die Akademiestudenten mit neuem Feuer der Begeisterung erfüllte. Unzählige Gründe hatte Aron angeführt, warum die Reise
    sich verzögerte: Unzulänglichkeiten in der Bürokratie, Computerfehler, bedauerliche Missgeschicke ohne jeden tieferen Grund. Aron hatte auf seinen eigenen
    Fall verwiesen – er hatte ein Trimester warten müssen, bevor ein Platz für ihn frei geworden war in dem streng limitierten Kontingent der Akademie.
    Außerdem hatte ein Lirep anderes zu tun, als Studenten der Akademie zu schikanieren. Aber Ben hatte darauf beharrt: ‚Er hasst mich, weil ich ihn
    durchschaue.‘
    Aron sah Crapp an, der seine Rede immer wieder unterbrach, um Augenblicke in erschüttertem Schweigen zu verharren. Es war eine Farce. Erschrocken versuchte
    Aron, diesen Gedanken zu verdrängen. Jede negative Äußerung über den Lirep galt als Beleidigung des Mahaguru. Doch die Wut, die in ihm aufgestiegen war,
    wollte sich nicht besänftigen. Aron glaubte aus Crapps Stimme Töne des Triumphes herauszuhören. Dort ruht die Asche des vermessenen Burschen, der sich
    erdreistet hat, den Lirep zu verspotten, zu kritisieren, zu beurteilen. Die Strafe des Hju hat ihn getroffen. Crapp triumphierte, während er Worte des
    Trostes sprach, während er Ben lobte, während seine Stimme erneut zu tremolieren begann. Aron ballte die Fäuste in der Tasche. Er zitterte, musste alle
Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig zu bleiben. Wut kochte in ihm auf und zugleich Angst

Weitere Kostenlose Bücher