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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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und doch getreu dem Spruch aus
    dem
Buch der Erleuchtung
, dass Wahrhaftigkeit manchmal den Mut bedeutet, allein gegen die Welt zu stehen. Dies war das Motto der Liga-Pioniere in
    den Anfangszeiten gewesen, als es galt, die Liga gegen Attacken von Behörden und Kirchen zu verteidigen. Wer hatte heute noch die Courage, diesem
    Wahlspruch zu folgen, wenn es um die Liga selbst ging? Verzweiflung mischte sich in Arons Wut – er war ein Schwächling, der sich unterwürfig in
    Konventionen fügte, seine Gefühle verriet, um den Erwartungen der anderen zu genügen, ein angepasster, feiger Akademieschüler, der sich vor den
    Ethik-Hütern fürchtete.
    Als Crapp geendet hatte und die Flöte erneut einsetzte, rutschte Aron unruhig auf seinem Stuhl, konnte den Augenblick kaum erwarten, bis ein kurzer
    Hju-Gesang die Zeremonie beendete. Er rannte fort, ohne sich von den anderen zu verabschieden, ohne die tröstenden Worte abzuwarten, die die Atmas bestimmt
    schon für ihn vorbereitet hatten, die wohlmeinenden Redensarten, die er von ähnlichen Anlässen kannte. Er hatte sie selbst oft genug im Mund geführt, hatte
    dieses warme Ziehen am Herzen verspürt, wenn er seinem Mitgefühl Ausdruck verlieh, wenn er helfen und trösten wollte als Werkzeug des Hju. Er verließ das
    Auditorium, ohne sich umzusehen, ohne auf die teilnahmsvollen Gesichter zu achten, die sich ihm entgegenstellten, die seine Aufmerksamkeit suchten, um
    Trost zu spenden, um Hilfe anzubieten, eilte mit starrem Lächeln an allen vorbei, hinaus in den gleichgültigen Lärm der Stadt.
    Schnee fiel in dichten Flocken.
Kapitel 2
Die Brücke des Windes
    An feuchten Granitblöcken wanden sich Schlangen, glatte Leiber, die behäbig aus Spalten und Rissen glitten, sich über Vorsprünge und Kanten schoben, um im
    Dunkel anderer Öffnungen zu verschwinden. Aron sah niemals die Köpfe der Tiere, nur die muskulösen, sich biegenden, pulsierenden Körper, die wie in
    schwarzen Lack getaucht im Widerschein nebligen Lichtes glänzten. Das Echo starken Windes heulte durch die Gewölbe, in denen Aron irrte, Räume von
    unendlicher Ausdehnung, die zugleich eng und bedrückend schienen. Die Dunkelheit gab nur Bruchteile der Wände frei, im Nichts verschwimmende Stücke, von
    huschenden Lichtreflexen flüchtig beleuchtet, die auf geheimnisvolle Art zu atmen schienen in der Bewegung der Schlangenleiber. Aus allem strahlte
    Bedrohung. Niedergeduckt setzte Aron seine Wanderung durch die Höhlen fort, umtost vom Ton des Windes, der in unerreichbaren Fernen zu wehen schien. Eine
    lauschende Kraft wuchs in Aron und zog ihn zur Quelle des Tones hin, eine innere Erregtheit, die seine Umgebung vergessen machte, sie abstreifte von seinem
    Bewusstsein. Seine Wahrnehmung schien sich zu weiten, schien tiefer in den fernen Klang einzusinken, schien neue Töne zu erspüren in dem gewaltigen Akkord,
    verborgene Melodien, die wie verschüttete Ströme unter dem monotonen Heulen erklangen, das Zusammenspiel unzähliger Instrumente und Stimmen, Orchester und
    Chöre, die den einen Ton speisten und trugen, entsetzliches Schreien auch, Stöhnen, Seufzen, Gelächter, kreischenden Lärm. Aron wurde hineingerissen wie in
    einen Sog. Die Gewölbe um ihn versanken und das Durcheinandergleiten der Schlangen wandelte sich zu einem Rhythmus, der wie das Schlagen eines Herzens in
    den Tiefen der Erde schien.
    Zu Marmordomen wuchsen die Höhlen plötzlich empor, zu mächtigen Gewölben, zu gläsernen Kuppeln, von Feuerschein durchzuckt. In ihnen brauste der Wind
    lauter, schwoll zum Orkan, dass sie zu zittern begannen. Aron durchschritt sie staunend, zugleich aber sah er sie kaum, so sehr nahm die zunehmende Gewalt
    des vielstimmigen Crescendo seine Sinne gefangen. Er trat durch ein enges, schmuckloses Portal in einen pyramidenförmigen Raum, der von undurchdringlicher
    Finsternis erfüllt war. Aron wusste, dies war die Kammer des Windes, die Quelle des Tones, angefüllt mit allen Stimmen des dröhnenden Brüllens. Als dieses
    Wissen über ihn kam, spürte er für einen Augenblick namenloses Entsetzen, als habe sich eine längst verlorene, schreckliche Erinnerung aus Abgründen des
    Vergessens erhoben, ein furchtbares, gesichtloses Bild, das rasende Angst über ihn ausgoss, Angst vor einer Macht, die er nun wiedererkannte und vor deren
    Antlitz es nur Hingabe oder Tod gab, ewigen Tod, das Auslöschen aller Bewusstheit, die Vernichtung allen Seins für Äonen. Wie ein ehernes Gesetz war dieses
    Wissen in das

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