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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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Erlebnisse zielen, ein
    Schulungsprogramm, das persönliche Schwächen in Erfolgsenergien umzuwandeln verspricht, Zuneigung und Nestwärme in einem Klüngel von Gleichgesinnten und
    die unentwegt wiederholte Bestätigung, der auserwählten Elite anzugehören, der Avantgarde der künftigen Weltkultur unter Anleitung einer uralten Linie von
    Adepten – Jason hatte den Nerv der Zeit getroffen.
    „Spirituelles Fast-Food,“ meinte Ted, „Greatest Hits of Religion and Psychology. Der kleinste gemeinsame Nenner. Simple Lösungen für komplizierte Probleme.
    Opium fürs Volk. Aber besser als Fernsehen, Drogen nehmen, Menschen umbringen und Kriege führen. Vermutlich ist die Welt tatsächlich nur auf solch triviale
    Weise zu retten, nachdem alle anspruchsvolleren Rezepte versagt haben.“
    Der innere Kreis bestand seit dem zweiten Ligaseminar unverändert aus sechs Personen – Jason selbst, Ted, Rob, John, Jane und mir. Der siebte im Bunde, den
    wir zu unseren Treffen einluden, war der jeweilige sogenannte Präsident der Liga, der von Ted, Rob und mir für das Management der täglichen Geschäfte
    eingesetzt und, wenn uns sein Wirken nicht gefiel oder er sich zu sehr an seiner Macht berauschte, wieder gefeuert wurde. Ich hatte die Position des
    Liga-Präsidenten, die Jason zuerst mir übertragen hatte, bald delegiert, um dem ständigen Kontakt mit dem Hauptquartier zu entfliehen. Auf dem Papier galt
    dieser Präsident als gleichberechtigtes Mitglied des inneren Kreises. Die Tatsache aber, dass wir in den vierten Kreis der Liga eingeweiht waren – er
    selbst war bestenfalls ein Eingeweihter des fünften oder sechsten Kreises – und wir zudem die Macht besaßen, ihn zu berufen und wieder zu entlassen,
    beschränkte seine Anwesenheit in unserer Mitte auf die eines Zuhörers und Befehlsempfängers, der zwar Vorschläge vorbringen durfte, aber nie darüber im
    Zweifel gelassen wurde, wie tief unter uns er rangierte. Den Atmas galt der Präsident der Liga als unangreifbar hohe Persönlichkeit, in Wirklichkeit war er
    nichts weiter als eine von unserer Laune abhängige, jederzeit austauschbare Marionette. Auf eben dieser Grundlage basierte die gesamte Hierarchie der Liga,
    denn der Präsident verfuhr mit seinen Untergebenen nicht anders. Dieses menschenverachtende System setzte sich fort bis zum geringsten freiwilligen
    Mitarbeiter, der in einem Liga-Zentrum irgendwo auf der Welt Papiere sortierte, Plakate klebte oder Fenster putzte, in der Hoffnung, einer Krume der „Macht
    des Hju“ teilhaftig zu werden. Die Organisationsstruktur der Liga wurde im
Buch der Erleuchtung
als Abbild kosmischer Hierarchie dargestellt, in
    der kein Platz war für Mehrheitsbeschlüsse und Demokratie, sondern nur für die unbeschränkte Macht der Ranghöheren. Jason sprach vom weisen Gebrauch dieser
    Macht, behauptete, im System der Liga bedeute ein höherer Rang der Einweihung gleichzeitig ein Mehr an göttlicher Weisheit, doch dies machte die
    Machtkämpfe in der Organisation nur noch unerbittlicher, denn jeder, der sich in der Hierarchie ein Stück nach oben gearbeitet hatte, berief sich in seinen
    Entscheidungen auf den Willen des Hju und machte sich auf diese Weise immun gegen Kritik. Solche scheinbar aus höheren Quellen fließende Macht geriet
    selbst auf den unteren Stufen der Liga-Pyramide zu einem Rausch, zur Willkür von Egoismus und Größenwahn, aber auch zur unablässigen Antriebskraft, auf der
    Leiter der Einweihungen so hoch wie nur möglich zu steigen. Menschen von bescheidenem Durchschnitt glaubten sich durch das Hju zu Großartigem berufen und
    verstiegen sich in blinde Selbstherrlichkeit, andere, die in ihrem Leben außerhalb der Liga versagten, bliesen sich zu hochrangigen spirituellen
    Autoritäten auf, wähnten sich weit über allen Nicht-Atmas. Die Struktur der Liga bot solchen neurotischen Projektionen großzügig Raum und zog gleichzeitig
    Nutzen aus ihnen. Der Eifer dieser Menschen, die alles taten, die Normen dieses Systems zu erfüllen, bildete das materielle und geistige Fundament der
    Liga. Die Liga gründete auf einer Basis der Lüge. Konnte man erwarten, dass aus dem Samen der Lüge etwas anderes keimt als wieder die Lüge?
    Im inneren Kreis aber gab es keine Hierarchie mehr. Selbst der Mahaguru wusste, dass er von uns anderen abhing, dass er nicht nach Gutdünken über uns
    verfügen konnte. Es gab im inneren Kreis so gut wie nie Unstimmigkeiten. In allen wichtigen Fragen herrschte stets Einmütigkeit. Lediglich

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