Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
gewesen
wären.
Rob verfolgte unbeirrbar seine Vision der Liga: „Eines Tages wird die Liga bestimmen, wer Präsident der Vereinigten Staaten ist und es wird keine wichtige
politische oder wirtschaftliche Stellung geben, die nicht von einem Atma besetzt ist. Die Verteilung der Macht wird nicht mehr bestimmt sein von Parteien
und politischen Ideologien, sondern wird abhängen von der Zugehörigkeit zur Liga. Das wird nicht nur in unserem Land geschehen, sondern in allen Ländern,
in denen die Liga wächst. Wir werden nicht nur die Weltreligion der Zukunft sein, sondern auch die Utopie eines vereinten Planeten Erde verwirklichen, mit
dem Mahaguru als Regierungsoberhaupt. Das Wort des Mahaguru wird das Gesetz der Welt sein. Dies ist das Ziel der Liga-Weltkultur.“ Rob war wie berauscht
von diesen Gedanken, denen Jason niemals widersprach. Damals scherzte ich mit Ted darüber, denn Rob klang wie einer dieser verrückten Wissenschaftler aus
James-Bond-Filmen, die nach der Weltherrschaft streben, heute aber, da sich die Liga wirklich in vielen Ländern der Erde etabliert hat und ihr Einfluss bis
in die höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreise reicht, ohne dass der Öffentlichkeit oder der Masse der Atmas dies bewusst wäre, erfüllen mich Robs
Gedankenspiele mit Angst. Später erfuhr ich, dass er Geheimprogramme ins Leben gerufen hatte, um Atmas gezielt in Behörden, Großfirmen und
Regierungskreisen zu platzieren, dass er sogar langfristige Strategien entwickelte, um Parteien, Gewerkschaften und Kirchen zu unterwandern.
Von den unzähligen anderen religiösen Gruppen, die in diesen Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen, unterschied sich die Liga aber nicht allein durch
ihre rasch zunehmende Macht, sondern durch ihre Unauffälligkeit, durch die Diskretion, mit der mit dieser Macht umgegangen wurde. Nur der Mahaguru und der
innere Kreis wussten wirklich um das Ausmaß wirtschaftlicher und finanzieller Verflechtungen, um die zahlreichen prominenten Mitglieder, um die
schleichende Unterwanderung öffentlicher Organe. Der Mahaguru protzte nicht mit Rolls-Royce-Flotten oder anderen exzentrischen Ideen, die Atmas waren
zumeist gut situierte Bürger, die sich nicht bizarren religiösen Regeln zu unterwerfen hatten, sondern ein völlig normales Leben führten. Die Aktivitäten
der Liga verletzten weder Gesetze noch die konservativen Gebote von Moral und Anstand. Sorgten andere esoterische Gruppen immer wieder für negative
Schlagzeilen, so präsentierte sich die Liga als salonfähige Familienreligion, die nur aus Toleranz, Liebe und Menschenfreundlichkeit zu bestehen schien und
ihren Anhängern in allen Lebenslagen praktische Hilfe bot. Die Atmas wurden weder finanziell ruiniert noch mussten sie sich strengen Gruppenzwängen beugen,
es gab keine extremen, asketischen Übungen, keine Vorschriften für Ernährung, Kleidung und Lebenswandel, keinen Rückzug von der Gesellschaft, keine
Verdammnis weltlicher Freuden, Erfolge und Reichtümer, keine offenen Attacken auf Andersdenkende. Auf den Seminaren und Schulungen sah man nur die
lachenden, glücklichen, zufriedenen Gesichter friedlicher und freundlicher Menschen. Und in den Werbebroschüren war von einer Liga-Kultur die Rede, die
eine Welt ohne Hass, Kriege, Umweltzerstörung, Rassenkonflikte, Drogen, Hunger und Armut schaffen wollte. Karitative Aktivitäten, die meist als
Medienereignisse inszeniert wurden, festigten dieses Bild in der Öffentlichkeit. „Mahaguru Howard Jason überreicht Scheck an Erdbebenopfer,“ „Liga hilft
hungrigen Kindern,“ „Liga unterstützt Entwicklungsprojekte in der Dritten Welt“ – so und ähnlich lauteten Pressemeldungen über solche publikumswirksame
Maßnahmen, die aus Spenden der Atmas finanziert wurden.
„Eine Religion wie aus der Müsliwerbung,“ spottete Ted, „Familie Saubermann auf dem Weg ins Nirvana.“
Der Sensationspresse war eine Gruppierung, bei der es weder über Sexorgien noch über Gewaltakte zu berichten gab, zu langweilig, die Gegner der Liga fanden
kaum Angriffspunkte, unzähligen Menschen aber bot die Liga die Illusion, dass für ihre geistigen Bedürfnisse und Nöte gesorgt sei, ohne dass sie dafür ihre
lieb gewonnenen Lebensgewohnheiten aufgeben mussten. Das Hju, der Mahaguru, eine bunte Mischung eingängiger Weisheiten aus Ost und West, ein wenig
Lebenshilfe, ein wenig Traumdeutung und Mystifizierung des Alltags, ein paar Konzentrationsübungen, die auf phänomenale innere
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