Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
ich aus der Liga bezogen, wuchsen ins unermessliche. Ich reiste viel, segelte vor der Küste
Kaliforniens und in der Südsee und hatte es mir zum Sport gemacht, auf jeden größeren Törn eine neue attraktive Partnerin mitzunehmen. Ich tat das, was man
gemeinhin Genießen des Lebens nennt – Frauen, Reisen, Überfluss, die besten Hotels und Restaurants, von allem das Feinste. Ich gab das Geld mit beiden
Händen aus, verlor viel bei unglücklichen Spekulationen, aber was bedeutete das schon – es kam immer mehr neues Geld nach. Die Quelle schien nicht nur
unerschöpflich, sondern sprudelte mit jedem Tag kräftiger. Ich lebte das Leben eines Gottes in einer Götterwelt. Das war der Lohn für den Verkauf meiner
Seele.
Jason bereiste die ganze Welt, besuchte jedes Jahr mehrere europäische Städte, um Vorträge und Seminare zu halten, machte Abstecher nach Afrika, wo sich in
den gehobenen Schichten mancher Großstädte eine Gefolgschaft von Atmas bildete. Auf dem Weg nach Australien, wo die Liga sich ebenfalls rasch ausbreitete,
hielt er sich in asiatischen Metropolen auf, in Hongkong, Delhi, Bangkok, Tokio, meist auf Einladung von Atmas aus Amerika oder Europa, die dort lebten und
für ihn Auftritte organisierten. Ted hatte seine eigene Theorie über den weltweiten Erfolg der Liga: „In den Industrienationen sind die Leute satt. Sie
haben alles erreicht und suchen etwas jenseits von Wohlleben und Materialität, finden es aber nicht mehr in den etablierten Kirchen. Für irgendwelche
radikalen Sekten und Gruppen sind sie zu aufgeklärt, für einen traditionellen spirituellen Weg zu profan, also kommen sie zur Liga. Und in
Entwicklungsländern gibt es eine Schicht, die alles tut, sich der westlichen Lebensart anzupassen und dazu gehört auch eine moderne westliche Religion. Für
sie ist die Liga eine Verbindung zu allem, was sie anstreben und bietet zudem die Chance, es auch zu erreichen.“
Einmal begleitete ich Jason und Jane auf einer solchen Weltreise, eher aus Langeweile denn aus wirklichem Interesse. Auf dieser Reise sah ich Edith und Ben
wieder. Ben ging längst zur Schule. Natürlich erkannte er mich nicht, sah in mir einen netten Onkel aus Amerika, der ihn mit Geschenken überhäufte. Edith
und Fred hatten geheiratet, Ben sagte längst ganz selbstverständlich ‚Papa‘ zu seinem Stiefvater, und Edith bat mich inständig, dem Kind diesen Glauben zu
lassen. Wir stritten gleich bei unserer ersten Begegnung. Der Hass unserer letzten Ehewochen brach mit neuer Kraft aus wie ein Vulkan, der nur geschlafen
hatte. Ich drohte, meine Vaterrechte zu erkämpfen und Ben nach Amerika zu holen, mit dem Ergebnis, dass ich meinen Sohn nicht mehr zu sehen bekam und Jason
mich am gleichen Abend väterlich in die Arme nahm und mir riet, ich solle diesen Zyklus abschließen, auch wenn es schmerzhaft für mich sei. Natürlich, ein
Kind hatte keinen Platz in meinem Leben, doch der Gedanke, dass mein Sohn für mich verloren war, dass er zu einem Liga-Fanatiker erzogen wurde, trieb mich
zur Verzweiflung. Aber ich lernte auch diesen Schmerz verdrängen. Sich selbst zu belügen wird zum automatischen Mechanismus, wenn man sich einmal darauf
eingelassen hat.
Einige Wochen nach der Rückkehr von einer Reise nach Australien starb Jason. Natürlich wurden die wirklichen Umstände seines Ablebens nie bekannt. Sein
„Transzendieren“ wurde später als bewusstes Hinübergehen eines Erleuchteten im Kreis seiner engsten Schüler dargestellt und durch eine Reihe von Legenden
idealisiert. Aber wenn an seinem Tod schon etwas als passend für einen Mahaguru bezeichnet werden muss, dann bestenfalls der Zeitpunkt, denn Jason schied
nur wenige Wochen vor seinem Geburtstag, dem Ende des Liga-Jahres, von uns, sodass sein Nachfolger bereits beim bevorstehenden Hauptseminar den Atmas
präsentiert werden konnte, was die Unsicherheit einer führerlosen Zeit vermied.
Wir waren zusammengekommen, um das Seminar vorzubereiten. Erstmals waren wir durch die stetig wachsenden Anhängerzahlen gezwungen, auf die bisher üblichen
Hotels und Kongresszentren zu verzichten und eine Sporthalle zu mieten. Dieses Seminar sollte das größte der Liga-Geschichte werden. Jason hatte uns zu
diesem Treffen zusammengerufen, um die Neuerungen zu besprechen, die er bei seinen Auftritten den Atmas verkünden wollte. Er sprach von Liga-Akademien, von
Missionsstationen in allen Ländern der Welt, von lokalen Liga-Zentren, die jeweils um die Person des
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