Der Name der Rose
das anderswo unauffindbar ist, und die Kopie mit nach Hause zu nehmen, nicht ohne Euch zum Dank eine andere kostbare Handschrift gebracht zu haben, die Ihr dann kopieren laßt und Eurem Schatz einverleibt; andere bleiben für lange Jahre, manche gar bis zu ihrem Tod, da sie nur hier die Werke finden, die ihre Forschung erleuchten. So habt Ihr unter Euch Franzosen, Hispanier, Germanen, Dakier und Griechen. Ich weiß auch, daß Kaiser Friedrich Euch vor vielen Jahren ersuchte, ein Buch über die Prophezeiungen des legendären Zauberers Merlin zu kompilieren und ins Arabische zu übersetzen, auf daß er es dem Sultan von Ägypten zum Geschenk machen könne. Ich weiß schließlich auch, daß selbst ein so ruhmreiches Kloster wie Murbach in unseren traurigen Zeiten keinen einzigen Schreiber mehr hat und daß in Sankt Gallen nur noch wenige Mönche leben, die des Schreibens kundig sind, denn heutzutage sind es die Städte, in denen sich Zünfte und Gilden ausbreiten, bestehend aus weltlichen Schreibern, die im Dienst und Auftrag der Universitäten arbeiten, so daß es allein noch Eure Abtei ist, die tagtäglich den Ruhm Eures Ordens erneuert, was sage ich: mehrt und zu immer neuen Höhen treibt!«
» Monasterium sine libris «, zitierte versonnen der Abt, » est sicut civitas sine opibus, castrum sine numeris, coquina sine suppellectili, mensa sine cibis, hortus sine herbis, pratum sineßoribus, arbor sine foliis . . . Ja, unser Orden! Als und solange er wuchs am Doppelgebot der Arbeit und des Gebetes, war er Licht für die ganze bekannte Welt, Hort des Wissens, Zuflucht einer antiken Bildung, die unterzugehen drohte in Feuersbrünsten, Plünderungen und Erdbeben, Brutstätte einer neuen Schrift und Pflegestätte der alten . . .
Oh, Ihr wißt, wir leben in finsteren Zeiten, und erst vor wenigen Jahren – es treibt mir die Zornes- und Schamröte ins Gesicht, wenn ich daran denke – sah sich das Konzil zu Vienne veranlaßt, ausdrücklich zu betonen, daß jeder Mönch verpflichtet ist, sich an die Gebote zu halten! Ora et labora . . ., doch wie viele unserer Abteien, die noch vor zweihundert Jahren blühende Zentren der Größe und Heiligkeit waren, sind heute Zufluchtsstätten für Faulpelze! Mächtig ist der Orden noch immer, doch der Gestank der Städte kreist unsere heiligen Stätten mehr und mehr ein, das Volk Gottes ist heute dem Handel zugetan und den Händeln und Fehden zwischen Parteien, Klüngeln und Cliquen. Drunten in den dicht besiedelten Ebenen, wo der Geist der Heiligkeit keine Herberge findet, spricht man nicht nur die Volkssprache (von Laien kann man schließlich nichts anderes erwarten), sondern man schreibt sie bereits! Möge nie eins dieser Bücher in unsere Mauern gelangen, würde es doch zwangsläufig zu einem Herd und Nährboden der Häresie! Die Sünden der Menschen haben die Welt an den Rand des Abgrunds getrieben, schon ist die Welt durchdrungen vom Abgründigen, das aus dem Abgrund hervorsteigt. Und wie Honorius sagte, werden morgen die Körper der Menschen kleiner sein als es heute die unseren sind, so wie heute die unseren kleiner sind als es einst die der Alten waren. Mundus senescit , die Welt vergreist! Wenn Gott unserem Orden noch einen Auftrag gegeben, so ist es heute der, sich dieser Fahrt in den Abgrund entgegenzustemmen, den Schatz des Wissens, den unsere Väter uns anvertraut haben, zu wahren, zu hüten und zu verteidigen. Die göttliche Vorsehung hat gewollt, daß die Weltregierung, die ursprünglich im Osten saß, sich mit dem Herannahen der Zeit immer mehr gen Westen verlagert hat, um uns darzutun, daß sich die Welt ihrem Ende nähert, hat doch der Lauf der Dinge bereits die Grenzen des Universums erreicht. Doch bis das Jahrtausend endgültig zerfällt und jene bestia immunda , die wir Antichrist nennen, zum vollen, wenn auch nur kurzen Triumph gelangt, ist es unsere Aufgabe und Mission, den Schatz der christlichen Welt zu wahren und das Wort Gottes zu hüten, wie er es den Propheten und Aposteln offenbarte, wie es die Väter getreu wiederholten, ohne ein Jota zu ändern, und wie es in den Schulen ausgelegt wurde – mag sich heute auch in den Schulen die Schlange der Hoffart, des Neides und der Unvernunft einnisten. Noch sind wir in dieser Abenddämmerung Flamme und hohes Leuchtzeichen am Horizont. Und solange diese Mauern stehen, werden wir Wahrer und Wächter bleiben des göttlichen Wortes.«
»Wohlan, so sei es«, nickte William andächtig. »Aber was hat das alles damit zu
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