Der Name der Rose
geschrieben, auf eine plötzliche Krankheit verwiesen (an welcher gewiß niemand zweifeln wolle) und an seiner Stelle die Brüder Johannes Fidanza und Humilis Custodius von Perugia geschickt. Wie es der Zufall indessen gewollt habe, sei der Herr Papst von den Guelfen aus Perugia darüber informiert worden, daß Bruder Michael, alles andere als krank, Kontakte zu Ludwig dem Bayern unterhielt . . . Doch wie dem auch sein mochte, das Gewesene sei gewesen, in jedem Falle scheine ja Michael nun wohlauf und munter, und so erwarte man ihn am päpstlichen Hofe. Allerdings sei es sicherlich besser, räumte der Kardinal ein, vorher zu klären und abzuwägen, wie man es heute hier tun wolle in dieser Runde kluger und erfahrener Männer von beiden Seiten, was Michael dem Heiligen Vater zu sagen gedenke, sei doch allen schließlich daran gelegen, die Dinge nicht zu verschlimmern und einen Streit zu begraben, der eigentlich gar nicht aufkommen dürfte zwischen einem so liebevollen Vater und seinen gehorsamen Kindern, und der auch nur aufgekommen sei durch die Einmischung weltlicher Machthaber, seien sie Kaiser oder Prokuratoren, die nichts zu tun hätten mit den Angelegenheiten der heiligen Mutter Kirche.
Hier griff nun wieder Abbo ein und sagte, wiewohl er ein Mann der Kirche sei und sogar Abt eines Ordens, dem die Kirche so viel verdanke (ein respektvolles Murmeln und zustimmendes Nicken ging durch beide Hälften des Kreises), sei er aus mancherlei Gründen, die Bruder William von Baskerville später noch darlegen werde, nicht der Ansicht, daß man den Kaiser aus diesen Angelegenheiten heraushalten solle.
Freilich müsse der erste Teil der Debatte zunächst allein zwischen den Abgesandten der Kurie und jenen Repräsentanten der Kinder des heiligen Franz stattfinden, die schon dadurch, daß sie überhaupt zu diesem Treffen gekommen seien, sich als gehorsame Kinder des Heiligen Vaters erwiesen hätten. So möge nun Michael oder jemand an seiner Stelle darlegen, was er in Avignon vorzutragen gedenke.
Michael antwortete, zu seiner großen Freude und Rührung befinde sich unter ihnen an diesem Morgen Ubertin von Casale, den der Heilige Vater selbst im Jahre 1322 um eine fundierte Stellungnahme zur Frage der Armut Christi gebeten habe, und so werde nun dieser hochgeachtete Bruder mit seiner bekannten Luzidität, Gelehrtheit und leidenschaftlichen Rechtgläubigkeit die Kernpunkte dessen zusammenfassen, 215
Der Name der Rose – Fünfter Tag
was mittlerweile – und unwiderruflich – die Überzeugungen des Franziskanerordens seien.
Ubertin erhob sich, und kaum daß er zu sprechen begonnen hatte, verstand ich, warum er stets und überall soviel Begeisterung weckte, sei's als Prediger oder als Mann des Hofes. Leidenschaftlich im Gestus, gewinnend im Duktus, bezaubernd im Lächeln, klar und folgerichtig im Argumentieren, vermochte er seine Zuhörer bis zum letzten Wort seiner Rede zu fesseln. Er begann mit einer hochgelehrten Explikation der Gründe, die den Thesen von Perugia unterlagen. Vor allem, sagte er, müsse man sich darüber im klaren sein, daß Christus und seine Jünger einen Doppelstatus gehabt hätten. Zum einen seien sie Würdenträger der Kirche des Neuen Testaments gewesen, und als solche hätten sie, im Hinblick auf ihre Gewährungs- und Verteilungsbefugnis, weltliche Güter besessen, um sie den Armen und den Dienern der Kirche zu geben, wie es geschrieben stehe im vierten Kapitel der Acta Apostolorum, und das wolle niemand bestreiten. Zum anderen aber seien Christus und die Apostel auch als Privatpersonen anzusehen, als Grundpfeiler jeder religiösen Vollkommenheit und als vollkommene Weltverächter. In diesem Zusammenhang gebe es nämlich zweierlei Arten von Haben. Die eine sei zivil und weltlich und in den kaiserlichen Gesetzen mit den Worten » in bonis nostris « definiert, denn »unser« würden dort jene Güter genannt, die man verteidigen und, wenn sie einem genommen werden, zurückfordern dürfe (und zu behaupten, Christus und die Apostel hätten in diesem Modus weltliche Güter besessen, sei eine häretische Aussage, heiße es doch bei Matthäus im fünften Kapitel: »So jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel«, und nichts anderes steht auch im sechsten Kapitel bei Lukas, mit welchen Worten Christus jede weltliche Habe und Herrschaft von sich gewiesen und seinen Jüngern geboten habe, desgleichen zu tun, siehe dazu auch Matthäus Kapitel neunzehn, wo Petrus zum Herrn
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