Der Name der Rose
Tag
Eigentümer. Die Minoriten sind immer nur Nutznießer, die den Nießbrauch haben!«
»Wirklich?« versetzte der Angesprochene spitz. »Und wie oft hast du das Eigentum der Prokuratoren auf eigene Rechnung verhökert? Ich weiß von gewissen Geschäften, die . . .«
»Wenn ich's getan habe, war es falsch«, fiel ihm Hieronymus hastig ins Wort. »Du kannst nicht dem ganzen Orden anlasten, was schlimmstenfalls die Schwäche eines einzelnen Sünders ist!«
»Aber, ehrwürdige Brüder, ich bitte euch!« griff nun der Abt beschwichtigend ein. »Unser Problem ist doch nicht, ob die Minoriten arm oder reich sind, sondern ob Unser Herr Jesus arm gewesen war . . .«
»Eben!« ließ Hieronymus sich von neuem vernehmen. »Und dazu habe ich ein Argument, das
dreinschlägt wie ein Schwert . . .«
»Heiliger Franziskus, bewahre deine Kinder vor Dummheiten!« seufzte William ahnungsvoll.
»Das Argument ist«, fuhr Hieronymus ungerührt fort, »daß nämlich die Griechen und Orientalen, die viel vertrauter sind mit den Lehren der heiligen Patres als wir, ganz selbstverständlich und fest an die Armut Christi glauben. Und wenn schon diese Häretiker und Schismatiker so kristallklar eine kristallklare Wahrheit bezeugen, wollen wir dann etwa noch häretischer und schismatischer sein, indem wir diese Wahrheit verleugnen?! Ich sage euch, wenn jene Griechen hören könnten, wie manche von uns wider diese Wahrheit predigen, sie würden sie steinigen!«
»Ach wirklich? Was du nicht sagst!« höhnte der Bischof von Arborea. »Und wie kommt es dann, daß sie die Dominikaner nicht steinigen, die genau wider diese angebliche Wahrheit predigen?«
»Was für Dominikaner? Ich habe dort unten nie welche gesehen!«
Blaurot vor Wut und mit keifender Stimme versetzte darauf der Bischof von Arborea, vielleicht sei dieser Mindere Bruder fünfzehn Jahre im Lande der Griechen gewesen, er aber habe seit frühester Kindheit dort unten gelebt! Hieronymus konterte mit der schrillen Bemerkung, das könne schon sein, und vielleicht sei dieser Dominikaner wirklich unten im Lande der Griechen gewesen, doch nur, um sich dort ein gutes Leben zu machen in Bischofspalästen. Er aber als bescheidener Franziskaner habe dort unten nicht nur fünfzehn, sondern gut fünfundzwanzig Jahre verbracht und sogar vor dem Kaiser von Konstantinopel gepredigt!
Woraufhin der Bischof von Arborea mangels weiterer Argumente Anstalten machte, sich auf seinen Widersacher zu stürzen und ihm, der sicherlich längst seine Männlichkeit eingebüßt habe, nun auch den Bart abzureißen, um ihn zu strafen nach bester Logik der Wiedervergeltung durch Benutzung besagten Bartes als Geißel.
Die anderen Minoriten sprangen auf, um sich schützend vor ihren bedrohten Bruder zu stellen, die Avignoneser fanden es richtig, dem keifenden Dominikaner hilfreich zur Seite zu stehen, und so ergab sich (oh Herr, hab Erbarmen mit Deiner Kinder Besten!) ein wildes Geschrei und Getümmel, das der Abt und der Kardinal vergeblich zu besänftigen suchten. Minoriten und Dominikaner belegten einander mit wüsten Beschimpfungen, als wäre jeder von ihnen ein Christ im Kampf mit den Sarazenen. Die einzigen, die still sitzenblieben, waren einerseits William und andererseits Bernard Gui – William traurig und Bernard froh, wenn man bei jenem blassen Lächeln, das um die Lippen des Inquisitors spielte, von Fröhlichkeit sprechen konnte.
»Gibt es keine besseren Argumente«, fragte ich bang meinen Meister, während der Bischof von Arborea sich über den Bart des Bischofs von Kaffa erboste, »um die Frage der Armut Christi zu klären?«
»Du kannst sie bejahen oder verneinen, mein guter Adson«, sagte William, »aber niemals wirst du aus den Evangelien ablesen können, ob und in welchem Maße Christus das Hemd, das er trug (und das er vermutlich achtlos wegwarf, sobald es abgenutzt war), als sein Eigentum betrachtete. Und wenn du so willst, ist die Eigentumslehre des Thomas von Aquin sogar noch kühner als die von uns Minoriten. Wir sagen, wir besitzen nichts und benutzen alles. Thomas sagt, betrachtet euch ruhig als Eigentümer, solange ihr nur, wenn jemand Mangel leidet an etwas, das ihr besitzt, es ihm zum Gebrauch überlaßt, und zwar nicht aus Barmherzigkeit, sondern aus Pflicht . . . Aber im Grunde geht es gar nicht darum, ob Christus arm war. Im Grunde geht es darum, ob die Kirche arm sein soll. Und arm sein heißt nicht so sehr keine Paläste besitzen, sondern darauf verzichten, die irdischen
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