Der Name der Rose
ohne Taufe starb? Und als sie die Dörfer Mosso, Trivero, Cossila und Flecchia plünderten, brandschatzten und dem Erdboden gleichmachten, und noch viele weitere Ortschaften in der Gegend von Crepacorio und viele Häuser in Mortiliano und in Quorino? Und als sie die Kirche von Trivero anzündeten, nachdem sie zuvor die Heiligenbilder geschändet und die Gedenksteine von den Altären gerissen und der Jungfrauenstatue einen Arm abgeschlagen und die Kelche, Weihegeräte und Bücher geplündert und den Campanile zerstört und die Glocken zerbrochen und sich aller Gefäße der Bruderschaft und der Habe des Priesters bemächtigt hatten?«
»Ja, ja, ich war dabei und habe mitgemacht, und niemand wußte mehr, was er tat, wir wollten den Tag der Großen Strafe vorwegnehmen, denn wir waren die Vorhut des rächenden Herrschers, der vom Himmel herabgesandt wird und vom Heiligen Papa Angelicus, wir mußten das Kommen des Engels von Philadelphia beschleunigen, und dann würden alle Menschen auf Erden die Gnade des Heiligen Geistes empfangen, und die Kirche würde von Grund auf erneuert werden, und nach der Vernichtung aller Verderbten würden allein 240
Der Name der Rose – Fünfter Tag
die Vollkommenen herrschen!«
Der Cellerar wirkte entrückt und erleuchtet zugleich, es schien, als wäre der Damm des Schweigens und der Verstellung in ihm gebrochen, als stehe seine Vergangenheit nicht nur in Worten erneut vor ihm auf, sondern auch in Bildern, als spüre er wieder die großen Gefühle, die ihn einst so erregt hatten.
»Mithin«, stieß Bernard nach, »gestehst du auch, daß ihr den Gherardo Segarelli als Märtyrer verehrtet, daß ihr der römischen Kirche jegliche Autorität abspracht, daß ihr behauptetet, weder der Papst noch sonst eine Autorität könne euch eine andere Lebensweise als die eure vorschreiben, niemand habe das Recht, euch zu exkommunizieren, alle Prälaten der Kirche seit den Zeiten des Sankt Sylvester, außer Petrus von Murrone, seien Amtsverräter und Verführer gewesen, die Laien brauchten den Priestern auch keinen Zehnten mehr zu entrichten, denn die Priester lebten nicht mehr in absoluter Vollkommenheit und Armut wie einst die ersten Apostel, der Zehnte sei künftig, wenn überhaupt, allein euch zu entrichten, euch als den einzigen wahren Jüngern und Pauperes Christi, und zum Beten sei eine geweihte Kirche nicht tauglicher als ein Stall! Das alles lehrtet ihr, nicht wahr? Und ihr zogt durch die Dörfer und rieft Penitenziagite! und sangt das Salve Regina , um das Volk zu verführen, ihr spieltet die Büßer, indem ihr vor den Augen der Welt ein vollkommenes Leben führtet, und dann erlaubtet ihr euch jede Freizügigkeit und Wollust, weil ihr nicht an das Sakrament der Ehe glaubtet noch an irgendein anderes Sakrament, nicht wahr? Und weil ihr euch für reiner hieltet als alle anderen, meintet ihr, euch jede Schändlichkeit und jede Beleidigung eures Leibes und des Leibes der anderen erlauben zu können? Rede!«
»Ja, ja, ich bekenne den wahren Glauben, den ich damals glaubte mit ganzer Seele, ich bekenne, daß wir unsere Kleider abwarfen als Zeichen unserer Entäußerung, daß wir auf alle unsere Habe verzichteten, was ihr Hunde nie tun werdet, daß wir hinfort kein Geld mehr annahmen von niemandem und auch keines mehr bei uns trugen, wir lebten von milden Gaben und legten nichts zurück für den morgigen Tag, und wenn man uns einlud und einen Tisch für uns deckte, stillten wir unseren Hunger und gingen, ohne mitzunehmen, was übriggeblieben war . . .«
»Doch ihr zogt plündernd und brandschatzend durch das Land, um euch der Habe der guten Christen zu bemächtigen!«
»Wir zogen plündernd und brandschatzend durch das Land, weil wir die Armut zum allgemeinen Gesetz erhoben hatten und weil wir das Recht besaßen, uns den unrechtmäßigen Reichtum der anderen anzueignen, wir wollten das giftige Unkraut der Habgier, das sich von Sprengel zu Sprengel verbreitete, ein für allemal ausrotten mit Stumpf und Stiel, aber wir plünderten niemals, um zu besitzen, und wir töteten niemals, um zu plündern! Wir töteten, um zu strafen, um durch das Blut die Unreinen reinzuwaschen, wir waren ergriffen von einem vielleicht zu starken Gerechtigkeitsstreben, man sündigt auch aus übertriebener Liebe zu Gott, aus Überfluß an Vollkommenheit, wir fühlten uns als die wahre Kongregation des Heiligen Geistes, die vom Himmel ausgesandt wird am glorreichen Tage des Jüngsten Gerichts, wir suchten unser paradiesisches
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