Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Pergamentbögen unter den Blättern auf seinem Tisch hervor und hielt sie hoch. Malachias betrachtete sie und erklärte mit fester Stimme: »Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen Vater, der Jungfrau Maria und allen Heiligen, daß es dieselben sind und waren.«
    »Danke, das genügt mir«, sagte Bernard. »Ihr könnt gehen, Malachias von Hildesheim.«
    Malachias ging gesenkten Hauptes zur Tür, doch kurz bevor er sie ganz erreichte, erklang eine schrille Stimme aus dem Gedränge der Neugierigen am unteren Ende des Saales: »Du hast ihm die Briefe versteckt, und dafür hat er dir in der Küche den Arsch der Novizen gezeigt!« Gelächter prustete los, Malachias drängte sich, Stöße nach rechts und links verteilend, eiligst hinaus; ich hätte schwören können, daß es Aymarus'
    Stimme gewesen war, doch der Satz war mit Fistelstimme geschrien worden. Der Abt lief dunkelrot an und brüllte: »Ruhe dahinten!« Andernfalls werde er alle bestrafen und den Saal räumen lassen. Bernard grinste anzüglich, Kardinal Bertrand auf der anderen Seite des Saales beugte sich zu Jean d'Anneaux hinüber und raunte ihm etwas ins Ohr, woraufhin dieser sich rasch die Hand vor den Mund hielt und den Kopf niedersenkte, als hätte er einen Hustenanfall. William sagte leise zu mir: »Der Cellerar war nicht nur ein fleischlicher Sünder zum eigenen Wohl, er hat sich auch als Kuppler betätigt. Aber das interessiert Bernard überhaupt nicht, oder höchstens, soweit es den Abt in Verlegenheit bringt, den kaiserlichen Vermittler . . .«
    Er wurde von Bernard unterbrochen, der sich just in diesem Moment an ihn wandte: »Mich würde interessieren, Bruder William, von welchen Schriften Ihr heute morgen mit Severin spracht, als Euch der Cellerar hörte und mißdeutete.«
    William hielt dem bohrenden Blick des Inquisitors stand. »Er mißdeutete mich, in der Tat. Wir sprachen von einer Kopie des Traktates von Ayyub al Ruhawi über die Tollwut bei Hunden, ein äußerst gelehrtes Werk, das Ihr gewiß vom Hörensagen kennt und das Euch oft von großem Nutzen gewesen sein dürfte . . .
    Die Tollwut, sagt Ayyub, ist bei Hunden erkennbar an fünfundzwanzig deutlichen Anzeichen . . .«
    Bernard, der zum Orden der Domini canes gehörte, hielt es nicht für angebracht, sich auf einen neuen Kampf einzulassen. »Es ging also um Dinge, die mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun haben«, sagte er rasch und setzte das Verhör des Cellerars fort.
    »Zurück zu dir, Minoritenbruder Remigius, der du noch viel gefährlicher bist als ein tollwütiger Hund.
    Hätte dein Mitbruder William in diesen Tagen mehr auf das Geifern der Ketzer geachtet als auf das Geifern der Hunde, so hätte vielleicht auch er entdeckt, welche Schlange sich einzunisten vermochte in dieser Abtei.
    Zu den Briefen also. Wir wissen jetzt mit Sicherheit, daß sie in deinen Händen waren und daß du dich bemühtest, sie zu verbergen, als wären sie schlimmstes Gift, und daß du sogar gemordet hast . . .«, mit einer knappen Handbewegung unterband er einen Protestversuch, ». . . über den Mord reden wir später . . . daß du sogar gemordet hast, sagte ich, damit sie mir nicht in die Hände fielen. Gibst du jetzt zu, daß diese Schriftstücke dir gehören?«
    Der Cellerar schwieg, doch sein Schweigen war sehr beredt. Weshalb Bernard sofort nachstieß: »Und was sind das für Schriftstücke? Es sind zwei Briefe von der Hand des Häresiarchen Dolcino, die er wenige Tage vor seiner Ergreifung geschrieben und einem seiner Jünger anvertraut hat, damit dieser sie anderen Sektenmitgliedern, die noch verstreut in Italien leben, überbringe! Ich könnte alles vorlesen, was hier geschrieben steht, und wie Dolcino, sein nahes Ende befürchtend, die Mitbrüder, wie er sagt, auf den Satan zu hoffen ermuntert! Er tröstet sie mit der Ankündigung, mögen die hier genannten Daten auch nicht mit 238
    Der Name der Rose – Fünfter Tag
    denen seiner früheren Rundbriefe übereinstimmen, in welchen er die totale Vernichtung aller Priester durch Kaiser Friedrich für das Jahr 1305 angekündigt hatte, daß diese Vernichtung gleichwohl nicht mehr fern sei.
    Womit der Häresiarch erneut gelogen hatte, denn seither sind über zwanzig Jahre vergangen, und keine seiner ruchlosen Prophezeiungen hat sich erfüllt! Aber nicht über den lachhaften Dünkel dieser Prophezeiungen haben wir hier zu reden, sondern über die Tatsache, daß Remigius ihr Überbringer war.
    Kannst du noch leugnen, unbußfertiger Ketzerbruder, daß du

Weitere Kostenlose Bücher